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Alt 23.03.2006, 12:42  
Toktok
night strike specialist
 
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Die Scharia ist allerdings, ebenso wie der Islam, keine so einheitliche und klare Angelegenheit, sondern unterliegt ständigem Wandel, was sich im Bedarf an unterschiedlichen, immer wieder neuen Klärungen von Detailfragen äußert. Wäre die Scharia hingegen ganz klar, eindeutig und unumstößlich, bräuchte man keine islamischen Religionsgelehrten, die sich immer wieder mit rechtlichen Fragen beschäftigen und so die Scharia entwickeln.
Der Koran selbst sieht für Apostasie nur eine Bestrafung im Jenseits vor, ganz ähnlich der kirchlichen Lehrmeinung im Katholizismus, die für den Abfall vom Glauben zu Lebzeiten, wenn er noch beim Zeitpunkt des Todes besteht, die ewige Verdammnis und ewige Qualen in der Hölle ohne Aussicht auf Erlösung vorsieht. Damit unterscheidet sich der Koran klar von den Formen der Scharia, wie sie von manchen Vertretern der islamischen Jurisprudenz entwickelt wurde.

Der Zeitungsartikel, aus dem du zitierst, ist unklar und unvollständig, Kuhfladen.
Es gibt bereits mehrere eindeutig nachgewiesene Fälle von Hinrichtungen wegen Apostasie.
Neben den im Artikel genannten Ländern sind noch Pakistan, Quatar und Mauretanien zu nennen, in denen Apostasie ebenfalls mit dem Tode bestraft wird und Hinrichtungen auch tatsächlich durchgeführt werden.
Wie und ob Apostasie in den einzelnen Richtungen des Islam geahndet wird, ist ebenfalls uneinheitlich, weil sich jede einzelne Glaubensrichtung nochmals unterteilen lässt, und weil bereits neben den vier Hauptrichtungen noch weitere Gruppen existieren. Aus dem schiitischen Islam haben sich sogar mehrere eigenständige Religionen entwickelt.
Letztendlich kommt hinzu, dass die Scharia nur in manchen islamischen Ländern vollständig zur Anwendung kommt, während sie sich andernorts entweder nur auf einzelne Rechtszweige konzentriert, oder überhaupt nicht zur Anwendung kommt (z. B. in der Türkei). Andererseits kann es vorkommen, dass die Scharia, auch ohne dass sie offizielle Grundlage der Rechtsprechung eines (überwiegend) islamischen Landes wäre, in traditionellen, oft ländlichen Gegenden dennoch praktiziert wird, dabei aber oft ganz grundsätzliche, streng vorgeschriebene Schutzbedingungen für Angeklagte nicht berücksichtigt werden.

Von den religiösen, islamischen Gelehrten der deutschen Muslimverbände wird die Todesstrafe für Apostasie jedenfalls abgelehnt, und sie setzen sich auch dafür ein, dass im jüngst bekannt gewordenen Fall aus Afghanistan keine entsprechende Verurteilung und Vollstreckung stattfindet.
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