Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 17.04.2006, 19:29  
Toktok
night strike specialist
 
Registriert seit: 05/2001
Beiträge: 5.545
Zitat:
Zitat von AndrewAustralien
Würde der Irak zu einem "richtigen" Rechtsstaat und einer richtigen Demokratie wie in Westeuropa zum Beispiel, dann wären Religion und Staat gentrennt. In dem Fall könnte die Religion nicht eine größere Rolle spielen als in Westeuropa.
Leider erreicht man sowas nicht so schnell, wahrscheinlich wird die Religion immer eine größere Rolle spielen als in Westeuropa, auch weil alle Staaten in der Region das wollen. Kein Staat in der Region ist halbwegs demokratisch und in allen spielt Religion eine wichtige Rolle. Saudi Arabien ist ein Extremfall, eine totale Theokratie, überhaupt keine Freiheit. Die wollen auch nicht, daß Irkis sich an rechtsstaatliche Freiheit gewöhnen. Überigens könnte der Irak wegen dieser Gründe Hilfe aus dem Westen brauchen, auch wenn er sonst demokratisch ist.
Zunächst ist das entscheidende Merkmal einer Demokratie, dass sich ihre Herrschaftsgrundlage aus dem Volk ableitet. Bei repräsentativen Demokratien werden i. d. R. Repräsentanten für Parlament und Regierung gewählt.
Im Irak versuchen die Besatzungsmächte vor allem darauf zu achten, dass die zur Wahl stehenden Personen ihnen möglichst wohlgesonnen sind, zumindest jene, die man den Mehrheiten der Volksgruppen zurechnen kann.
Dass das oft nicht so funktioniert, wie es sich die Westmächte wünschen, sieht man an all dem politischen Gerangel: Erst empfahlen die U.S.A. Al-Dschaafari. Der konnte sich nur eine Mehrheit mit einer Stimme Vorsprung durch die Unterstützung der radikalen Besatzungsgegner um Al-Sadr sichern. Das lässt die Besatzer wiederum skeptisch werden; nun wollen sie Al-Dschaafari nicht mehr, doch das leere Gerede von einer alternativlosen "Politik der nationalen Einheit" geht weiter.
Khalilzad, der US-Botschafter, favourisiert nun den Vizepräsidenten Abdulmehdi, der Al-Dschafari bei Wahlen innerhalb der Irakischen Allianz mit einer Stimme unterlegen war. Abdulmehdi ist zwar einerseits säkular und prakmatisch ausgerichtet, gehört aber andererseits dem SCIRI an, dem Hohen Rat für Islamische Revolution im Irak, eine schiitische Organisation, die enge Verbindungen zum Iran hält, und der die 12.000 Mann starken Badr-Brigaden unterstehen. Zum engsten Verbündeten der Amerikaner wird nun also ein Anhänger einer Organisation, die zu den reaktionärsten schiitischen Parteien im Irak zählt, und die selbstverständlich auf eine Einbeziehung islamischen Rechts in die Verfassung drängt. Was Abdulmehdi bisher erreicht hat, ist die Schaffung der Voraussetzungen für eine Kreditvergabe des Internationalen Währungsfonds als Finanzminister der Übergangsregierung. Diese bestanden u. a. darin, die Benzinpreise so weit anzuheben, dass sie für die meisten Iraker nicht mehr erschwinglich waren.
Eine weitere vom US-Botschafter Khalilzad favourisierte Schlüsselfigur für das Innenministerium ist Ijad Allawi, ehemaliger Baathist, CIA-Mitarbeiter, früherer Interimsministerpräsident und Pentagon-Protegé. Damit ist die schiitische Bevölkerungsmehrheit selbstverständlich überhaupt nicht einverstanden. Noch untersteht das Innenministerium Bajan Dschabr, dem früheren Chef der Badr-Brigaden, die ihre Ausbildung übrigens im Iran erhielten.
Du siehst, es ist das absolute Chaos, mitverursacht und unterstützt von den Besatzern. Wann immer man normale Bürger im Irak nach ihrem Vertrauen in "ihre" Politiker fragt, bringen sie größtes Misstrauen zum Ausdruck.
Diese verstärkte Ethnisierung, die Washington bezüglich der irakischen Politik betreibt, ist sicherlich kein Beitrag zur Demokratisierung, aber wenn man keine anderen Partner und Alternativen findet, muss man eben auf ethnisch und religiös orientierte Organisationen setzen.
Man kann im Irak zwar Wahlprozesse organisieren, aber eine wirklich erfolgreiche Staatsbildung und die nationale Einheit des Irak sind unter der Besatzung nach wie vor alles andere als in Sicht.

Interessant, dass du Saudi-Arabien ansprichst. Hier sieht man gut, wie wichtig der Bush-Regierung Demokratie und Freiheit wirklich sind. Mit den Saudis kooperiert man bestens. Auch die Saudis unterdrücken die schiitische Minderheit (5% - 10% Anteil an der Bevölkerung, die wie erwähnt größtenteils über einer Menge Erdöl und direkt an den Irak grenzend angesiedelt sind) in ihrem Land. Die saudischen Schiiten könnten, wie du angedeutet hast, in der Tat Hilfe aus dem Westen gebrauchen, aber die Milliarden Petroldollar schweren Geschäftsinteressen will man selbstverständlich nicht wegen ein paar Menschenrechten gefährden. Wie ich schon sagte: Da passen geeinte irakische Schiiten alles andere als ins Bild.

Zitat:
Zitat von Andrew
Natürlich würde ein Land versuchen, normale Beziehungen mit den Nachbarstaaten zu haben und je demokratischer die Länder, desto besser können die reden.
Demokratie eint nicht zwangsläufig, Andrew. Die Gemeinsamkeiten zwischen den saudischen Schiiten, den iranischen Zwölferschiiten und den irakischen Schiiten liegen in ihrer Religion, auch wenn die iranische Variante von den anderen nicht vollständig anerkannt wird. Auch die Parallelen zwischen den saudischen, sunnitischen Wahabiten und den irakischen Sunniten liegen in der Religion.

Zitat:
Aber wenn es Ziel des Iraks ist, eine stabile Demokratie zu sein, dann wird man keine zu enge Beziehungen mit dem nicht rechtsstaatlichem Iran wollen. Naja, was für Beziehungen man haben will ändert im Laufe der Zeit, wie du weißt, Saddam war mal ein großer Freund der USA. Aber ich glaube nicht, daß man mit Sicherheit sagen kann, daß der Irak würde, hätte sie eine stabile, demokratische Regierung, unbedingt eine enge Beziehung mit dem Iran wollen.
Wie gesagt: Die Bevölkerungsmehrheit im Irak besteht aus religiösen Schiiten; bei den Iranern handelt es sich ebenfalls um Schiiten. In einer funktionierenden Demokratie hat eine Bevölkerungsmehrheit normalerweise einen signifikanten Einfluss auf die Politik, und dass die irakischen Schiiten eine Wiederbelebung der freundschaftlichen Beziehungen mit dem Iran anstreben, hat man bereits unter Saddam gesehen, der das selbstverständlich verhindern wollte. Nun, da Saddam aus dem Weg geräumt ist, gibt es keinen Grund mehr dafür, weshalb die irakischen Schiiten mit den iranischen Schiiten keine freundschaftlichen Beziehungen etablieren sollten. Sie sind ja längst dabei: Im Süden des Irak versucht der Iran ein Handelszentrum zu errichten (man sagt man spricht dort bereits mehr Farsi als arabisch und akzeptiert sogar die iranische Währung), und auch die von dort aus weiter nördlich gelegenen Städte Kerbela und Nadschaf befinden sich bereits fest in der Hand von iranischen Religionsstiftungen, die längst dabei sind die Orte zu religiösen Pilgerstätten auszubauen.
Der einzige Grund, weshalb die Bestrebungen der irakischen Schiiten scheitern könnten, liegt in den Aktivitäten der Besatzer. Diese wären somit allerdings zutiefst undemokratisch, weil sie von einer Minderheit gegen den Willen einer großen Mehrheit durchgesetzt werden müssten.

Zitat:
Die enge Beziehung mit Geldquellen wie den USA und die Demokratie wären wichtiger. Anders wäre es, wenn es keine richtige Demokratie geben würde bzw. eine Demokratie mit Namen die eine Diktatur ist, aber zu einer Diktatur gibt es auch nur 2 Wege: die Truppen erstellen eine oder der Sieger des Bürgerkriegs erstellt eine wenn die Truppen gehen.
Die Besatzer sind dabei eine Regierung zu erstellen, die Entscheidungen im Sinne einer Minderheit über den Willen einer Mehrheit trifft, um so eigene, milliarden schwere Geschäftsinteressen zu bedienen.
Ein wirklich demokratischer Irak geht mit den geostrategischen, politischen und wirtschaftlichen Interessen der Besatzungsmächte einfach nicht konform, Andrew.
(Später vielleicht mehr zum Rest deines Beitrags.)
Toktok ist offline