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Alt 07.06.2002, 08:08  
casandra
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Dennoch ist die Phantasie vom "Opfer Mann", der gejagt wird von der Begierde einer Frau, bis heute nicht totzukriegen. Sie spiegelt sich wieder in den archaischen Bildern von der zerfleischten Amanzone und ihrem alles verschlingenden Geschlechtsorgan, der mit Zähnen bewaffneten "Vagina dentata". Sie artikuliert sich in zahllosen historischen Figuren, wie etwa Salome, die das Haupt jenes Mannes forderte, der sie abwies, nachdem sie ihn vergeblich bezirzte. Und sie kehrte zuletzt wieder im Hollywood-Thriller "Eine verhängnissvolle Affäre". Dort kommt der Famielienvater von der Heimsuchung nur los, in dem er die weibliche Furie ersäuft und zugleich erschiesst.

Woher stammen all diese männlichen Phantasien? Psychologen glauben, daß Männer tief verborgene Žngste haben. Z.B. die Angst vor den Frauen, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als die Angst vor der Umklammerung durch die eigene Mutter.

Ein Sohn sehnt sich zwar nach ihrer Liebe, doch zugleich muss er sich von ihr lösen, um erwachsen und zum Partner einer neuen Frau zu werden. Starke Mütter, so die gängige Theorie, verhindern aber diese Befreiung, so daß die gefesselten Männer ihrerseits zu Fesseln greifen.

Wollte mann all das Schlechte aufzählen, was Frauen im Laufe der Menschheitsgeschichte widerfuhr, man fände kein Ende. Wie sieht die Lage heute aus? UNO-Fachleute haben Daten und Fakten aus 150 Ländern zusammengetragen und verarbeitet. Das Ergebniss ist erschütternd:

Frauen, rund die Hälfte der Weltbevoelkerung, leisten 70% der Arbeit und erhalten dafür gerade 10% des Welteinkommens.
Frauen verfügen über genau 1% des Besitzes auf dieser Welt.
Von drei Menschen die weder lesen noch schreiben können, sind 2 Frauen.
In fast allen Entwicklungsländern darf eine Frau kein Konto ohne die Zustimmung ihre Mannes eröffnen. []
Viele Frauen haben nicht einmal einen eigenen Pass. Sie werden wie ihre Kinder im Pass des Mannes eingetragen.
In der Dritten Welt sind Frauen also mehr denn je Benachteiligte unter Benachteiligten. Fachleute sprechen von der "Feminisierung des Ehlends". und wie es um den weiblichen Wert in westlichen Industrienationen bestellt?

Ihr wirtschaftlicher Wert nimmt gewaltig zu: Von den rund 3,2 Millionen Unternehmen in Deutschland wird bereits jedes sechte von einer Frau geführt. Etwa 110.000 Unternehmerinnen bieten jeweils mehr als 10 Mitarbeitern Arbeitsplätze oder haben einen Jahresumsatz, der die Millionengrenze übersteigt.

Auch der "ideele Wert" steigt: In den künstlerichen Berufen fassen immer mehr Frauen Fuss. Unter den freien Künstlern beträgt der Anteil rund 30%, im Film- und Fernsehbereich sogar 50%.

Die grossen Filmpreise werden allerdings immer noch vorwiegend an Männer vergeben. Warum dies so ist, liegt für Marcel Reich-Ranicki auf der Hand: "Frauen sind einfach nicht in der Lage, auf bestimmten Gebieten Grosses zu leisten". []

Die Fakten scheinem ihm recht zu geben. Oder komponieren Frauen Opern, bauen sie Schlösser oder Kathedralen? Endeckte etwa eine Frau Amerika, oder flog ein weiblicher Astronaut zuerst auf den Mond?

Trotzdem wird leicht vergessen, daß Geschichtsschreibung meist der "Selbstfeier des Mannes" dient, wie die Publizistin Marielouise Janssen-Jurreit schreibt. "Sie ist die Aufzeichnung seiner Taten und die Verherrlichung maskuliner Werte. Sie ist der grosse Tank, aus dem die männlich Identitaet gezapft wird", und sie dient der "Mythologisierung grosser Männer".

Doch heute ist diese Wert- und Weltordnung ins Wanken geraten. Was unter anderem daran liegt, daß der Frau verlassliche Mittel zur Empfängnissverhütung zur Verfügung stehen. Mit ihrer Hilfe kann sie sich unabhängig vom Mann machen. [??] Nie zuvor war sie so frei, wie in unserer aufgeklärten Epoche.

"Lange Zeit hat sich das Nachsinnen über die wahre weibliche Identität über die Negation männlicher Werte und Vorstellungen vollzogen", schreibt die Autorin Mira Beham. "Herraus kamen dabei alte Mythen: von der Friedfertigkeit der Frau, von matriarchalischer Herrschaft in einer harmonischen Welt". Doch diese friedfertige Frau hat es mit grosser Wahrscheinlichkeit nie gegeben.

In jedem Fall hat die Diskussion um die Aufwertung der Frau eines gezeigt: Heutzutage kann sich der Kampf um ihre Identität nicht mehr in einem Kampf gegen Männer erschoepfen. Das Wechselspiel der geschlechtlichen Gegensätze muss nicht zwangsläufig Sieger und Verlierer, Herrschaft und Unterdrückung hervorbringen. Es kann auch zu einer konstanten Spannung zwischen Mann und Frau fuehren, die sich gegenseitig respektieren und im Idealfall gleich behandeln, ohne Unterschiede zu leugnen.

Diesen Wertewandel können Männer und Frauen allerdings nur gemeinsam vollziehen. Als Individuen, die nicht akzeptieren wollen, die schlechtere Hälfte der Menschheit zu sein, die aber auch nicht von vornherein glauben, die bessere zu sein