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Alt 26.10.2017, 14:25  
Talamaur
Inventar
Themenstarter
 
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Beiträge: 3.216
Zitat:
Zitat von Time2bcool Beitrag anzeigen
Warum 'unreflektierte Soße' - das ist nicht nett von dir. Es ist doch nur eine erste Anregung, die näher eingegrenzt werden kann.
Danke.

Zitat:
Worum geht es Talamaur genau - ein unbestimmtes Gefühl von Chaos oder Angst, dass 'alles den Bach 'runter geht'? Wäre doch denkbar, die gefühlte Unsicherheit näher zu beleuchten.
Es geht mir im speziellen um den Glauben an irrationale, schon längst widerlegter Gedankengebäude, die sich dazu noch gegenseitig widersprechen. Also jede Art von Esoterik und Verschwörungstheorien, deren Verbreitung und Glauben an diese wie mir scheint in den letzten Jahren enorm zugenommen hat - eben soweit schon, dass es inzwischen sogar politische Parteien gibt, die diese Theorien vertreten und die Gesellschaft dahingehend umgestalten möchten, dass z.B. unsere Energieversorgung auf diese ominöse "freie Energie" (näheres dazu später) umgestellt werden soll, was den sofortigen und dauerhaften Blackout zur Folge hätte, oder dass bspw. "Geistheiler" von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden sollen.

Zum anderen geht es mir um die Gründe, wie eine solche Entwicklung stattfinden konnte. Woher kommt der zunehmende Wissenschaftsskeptizismus, was steckt dahinter? Wir haben einige Jahrhunderte Aufklärung hinter uns und mir scheint, als befinde sich die s.g. "entwickelte Welt" zur Zeit auf dem geraden Weg zurück ins Mittelalter.

Zitat:
Hat sich die wissenschaftliche Landschaft wesentlich verändert? In welchen Bereichen und mit welchen Auswirkungen auf Gesellschaft und Politik könnte sie sich verändern? Welche Gefahren wären damit verbunden? Inwiefern wirkt eine Verunsicherung durch die Informationsflut neuer (virtueller) Medien sich auf die wissenschaftliche Landschaft aus?

Ich sage 'wissenschaftliche Landschaft', weil sie ein komplexes Universum mit vielen Sonnensystemen, wie z.B. Marktwirtschaft, Volkswirtschaft, Politik, Bildungspolitik, Entwicklungspolitik, universitäre Forschung & Lehre, industrielle Forschung & Lehre, was weiß ich noch alles ist.

Finde ich persönlich hochspannend, denke aber, man müsste zuvor ein Thema, bzw. einen Bereich näher definieren, um eine Diskussion zu führen.
Das sind sicherlich interessante und spannende Themen, die wir gern auch noch diskutieren können. Möglicher Weise entwickelt sich die Diskussion ja auch hier im Faden in diese Richtung. Ich bin da tatsächlich relativ ergebnisoffen. Zumal ich ja auch nicht weiß, inwiefern (im weitesten Sinne) esoterische Ansichten hier im LT vertreten werden.

Zitat:
edit: oh, Talamaur hat schon geantwortet. Zu langsam bin ich auch noch, sorry (werde nachlesen, bin abgelenkt).
Das passiert mir auch gerne mal.

Zitat:
Zitat von Time2bcool Beitrag anzeigen
Gefahr für was in der Gesellschaft: Kommunalpolitik, Gemeinden, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Lifestyle, Verhaltenscodex, Wohnformen, Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsplatzverfügbarkeit und -struktur, nationale Identität, ...?
Ich meine hier im Thread die Gesellschaft sowohl im soziologischen als auch im staatsrechtlichen Sinne.
Zitat:
Gesellschaft (Soziologie), eine durch unterschiedliche Merkmale zusammengefasste und abgegrenzte Anzahl von Personen, die als soziale Akteure miteinander verknüpft leben und direkt oder indirekt interagieren


Gesellschaft (Staatsrecht), dem liberalen Staat gegenüberstehende Bürger
https://de.wikipedia.org/wiki/Gesellschaft

Zitat:
Wenn du 'unsere Gesellschaft' sagst, ist das nicht zwangsläufig ein Gefühlskonzept individueller Geborgenheit und dem Platz, den man vermeintlich inne hat?
Hier also gerade nicht, sondern ein wohldefiniertes System von Akteuren, die miteinander in Wechselwirkung stehen.

Zitat:
Erhaben ist ja nicht das Gegenteil von intransparent oder unbeweisbar. Von Erhabenheit zeugt, dass z.B. maßgebliche Gesetzesentwürfe auf Prognosen und Hinzuziehung Wissenschaftler Gremien und Beraterteams basieren. Allgemein gesprochen richten sich 'Gesellschaft und Politik' maßgeblich an wissenschaftlichen Erkenntnissen aus. Daher: 'Erhabenheit der Wissenschaft'.
Danke für die Klarstellung. Den Begriff der Erhabenheit bringe ich tendenziell eher mit negativen Gefühlen in Verbindung. Aber du hast es ja klargestellt.

Zitat:
Und daraus abgeleitet wäre dann die 'Bedrohung der Wissenschaft' woran messbar? Die wissenschaftlichen Berater werden zukünftig wohl eher nicht durch Wünschelrutengänger ausgetauscht.
Tatsächlich ist das im privaten bereits häufig anzutreffen - und meint den Wünschelrutengänger wörtlich. Menschen, die andere Menschen beauftragen, per Wünschelrute Wasseradern zu identifizieren, die "Störfelder" aussenden, die dann ein Feng-Shui-Berater mit der richtigen Anordnung von Möbeln und Steinen - oder noch schlimmer, "Orgon-Akkumulatoren" - wieder "entstören" soll. Oder, wie im Fall des Berliner Ensembles, Intendanten, die das von "Geomantikern" machen lassen, s. z.B. hier: https://www.berliner-zeitung.de/kult...ergie-28243374

Zitat:
Allerdings: wie integer sind diese Wissenschaftler? Wer oder wie kontrolliert man das?
Im besten Falle liegt die Kontrolle ja im System der Wissenschaft selbst: Wissen gilt erst dann als gesichert, wenn es von anderen Forschergruppen falsifiziert wird. In der Regel läuft es so: Eine Forschergruppe entwickelt irgendwelche neuen Erkenntnisse, die sie dann publiziert. Eine andere Forschergruppe greift diese Erkenntnisse auf und falsifiziert sie. Erst dann gelten diese Erkenntnisse ja tatsächlich als gesichert.
Jetzt kommen die Medien ins Spiel, die in der Regel schon die erste Erfolgsmessung als gesichert darstellen, obwohl sie das ja noch gar nicht ist. Und das erzeugt dann häufig einen falschen Eindruck von sich widersprechenden Forschungsergebnissen.

Zitat:
Die Meinungen breiter Bevölkerungsschichten dürften sich auf persönliche Erfahrungswerte stützen, die - möglicherweise Filterblasen-mäßig - zigfach durch ähnliche Erfahrungsberichte 'abgesichert' werden. Der Anteil derjenigen, die sich für methodische Fehler im Versuchsaufbau interessieren, dürfte verhältnismäßig klein sein, meinst du nicht?
Für genau diesen Sachverhalt ist die Homöopathie ja ein ausgezeichnetes Beispiel! Das übliche, letzte Argument der Befürworter ist ja häufig: "Aber mir hat's geholfen!"
Diese Einzelerfahrung hat nur leider überhaupt keine Aussagekraft, weil der einzelne Laie, der sie anwendet, überhaupt nicht einschätzen kann, ob der Gesundungseffekt jetzt tatsächlich vom homöopathischen Mittel oder von Umwelteinflüssen oder vielleicht auch nur vom Placebo-Effekt herrührt. Dafür bedarf es Studien, in denen sich eben Experten damit beschäftigen. Und die zeigen ja durch die Bank: Bringt nichts, hat keine spezifische Wirkung. Trotzdem kommt am Ende immer wieder das "Argument": "Aber mir hat's geholfen!"
Du siehst hier den Knackpunkt: Eventuelle methodische Fehler im Versuchsaufbau sind essenziell, um die publizierten Ergebnisse überhaupt erst bewerten zu können. Ansonsten kann man keine fundierten Einschätzungen - auch nicht für sich selbst, schon gar nicht aber für andere - treffen.

Zitat:
Der Versuch, 'objektivierbares Wissen' unters Volk zu bringen, läuft wohl schon lange, und derzeit u.a. noch über staatliche Bildungsstätten und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Deren Objektivität wiederum wird zunehmend in Frage gestellt. 'Verstehen', 'Verstehen wollen' und 'Verstehen können' spielen außerdem eine Rolle.

Im Sinne von 'Demokratie ist Risiko' kommen da wohl viele Faktoren zusammen, die für 'Zeitenwandel' in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eine Rolle spielen, bzw. die Wahrung bestimmter Standards und Konzepte generell bedrohen.
Die entscheidende Frage ist ja: Wollen wir in einer Welt leben, in der Gurus Dinge behaupten, die niemand nachprüfen kann, die aber selbst nie die Schuld an ihrem Versagen tragen, oder wollen wir in einer Welt leben, in der Naturgesetze gelten, überall, für jeden, unumstößlich und objektiv?
Ein ganz konkretes Beispiel: Möchtest du in einer Welt leben, in der deine (hypothetische) eigene Krebserkrankungen ein Produkt des Zufalls ist, oder in einer Welt, in der man dir sagt, du seist selbst Schuld an deiner Erkrankung, an deinem Leiden, durch dein Versagen, durch dein schlechtes Verhalten, und zwar nicht, weil du dich entgegen der Empfehlung objektiver Kriterien verhalten hast, sondern weil du eine wie auch immer geartete höhere Macht auf nicht nachvollziehbare Weise verärgert hast? Das ist konkret die Frage, die wir uns alle stellen müssen.

Zitat:
Flat Earther!? Ernsthaft?
Hast du noch nie von der Flat Earth Society gehört?
Oder Manuel, der kurz vor dem Aus von Domian auch im Radio war?

Zitat:
Ich muss hier leider Zitate kürzen, weil mein Beitrag die maximale Länge überschreitet.
Das Konzept der Raumenergie, dass von der Partei "die Violetten" vertreten wird und forciert und umgesetzt werden soll, hat nichts mit der Vakuumenergie zu tun, die es ja tatsächlich gibt. Es handelt sich vielmehr um eine "Energieform", die ähnlich der "Lebensenergie", die alles umgibt und durchzieht und unendlich und kostenlos verfügbar ist. Bei Maschinen, diese Energie nutzbar machen können sollen, handelt es sich also um Perpetua Mobiles, die dem Energieerhaltungssatz der Thermodynamik, einem fundamentalen Satz unserer Physik, widerspricht.
Wie soll das möglich sein? Trotzdem gibt es Menschen, die solches Verbreiten (und das sind anscheinend tatsächlich wirklich viele und es werden scheinbar immer mehr) und nun sogar eine politische Partei gegründet haben, die solcherlei politisch umsetzen will...
Das Higgs-Teilchen weist entgegen dieser freien Energieform jedoch einen wesentlichen Unterschied auf: Seine Existenz wurde vom Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagt. Es war notwendig, wenn das Standardmodell Gültigkeit haben soll. Mithin also plausibel. Freie Energie wird jedoch von keinem Modell vorhergesagt, sie ist für kein Modell notwendig, ihre Existenz völlig unplausibel. Sie wird einfach behauptet - und zwar immer mit dem Verweis darauf, dass das Wissen um ihre Nutzbarmachung wahlweise von der Industrie oder der Regierung unterdrückt wird. Also eine klare Verschwörungstheorie.

Und um das richtig zu stellen: Die Existenz des Higgs-Teilchens konnte bis 2012 nicht deswegen nicht bewiesen werden, weil es unendlich klein ist, sondern weil ein so hohes Energieniveau, das nötig ist, um es zu erzeugen, aus technischen Gründen nicht erreicht werden konnte.
Ich bin mir gerade nicht sicher, ob es überhaupt unendlich kleine Teilchen geben kann. Soweit ich weiß (wobei ich nur interessierter Laie und alles andere als ein Profi bin) kann es keine unendlich kleinen Teilchen in unserem Universum geben, weil die Planck-Länge die absolute Grenze ist. Aber wie gesagt, die bin ich mir gerade nicht ganz sicher.
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