Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 19.09.2019, 19:17  
Lilly 22
 
Registriert seit: 05/2006
Ort: Alb Donau Kreis
Beiträge: 12.606
Hallo Lilahexe,

ich vermute, du verkennst einfach nur, wie sehr das mit seiner Mutter,
deinen Ex emotional mitgenommen und überfordert hat. Männer rea-
gieren oft auch mal aggressiv, wenn sie unter Depressionen leiden bzw.
deprimiert (hilflos, überfordert usw.) sind. Ganz einfach u.a. auch des-
halb, weil sie in unserer Gesellschaft als Jungs so erzogen werden, dass
es eben männlich sei, "zu funktionieren" und seine "Emotionen so nicht
zu zeigen", sondern "das starke Geschlecht sein" zu müssen.

Versuche mal nachzuvollziehen, wie es sich in etwa für ihn angefühlt ha-
ben muss, erst die Krankheit seiner Mutter (Ohnmachtsgefühle, Ängste,
Hilflosigkeit, Orientierungslosigkeit, Überforderung, Verlustängste usw.)
und dann deren Sterben erleben zu müssen. Und mit ihrem Sterben al-
lein verschwinden diese Gefühlsschwankungen und das Negative, das
damit einhergeht ja nicht einfach mal so. Dem folgt einfach noch eine
Menge an Trauerarbeit usw. usf.

Es mag sein, dass du dich während dieser Zeit als fürsorgliche Partnerin
empfunden haben magst. Er hat sich wohl eher mit eurer jungen Bezie-
hung obendrein überfordert gesehen. Das kann allein schon deshalb pas-
sieren, weil der andere Partner direkt oder indirekt erwartet, dass man
dennoch weiter funktioniert, etwas von sich gibt, das Ganze "gefälligst"
regelt und der Normalzustand endlich zurück kehren möge usw. usf.
Ihr habt es offenbar auch verpasst, über eben genau diese (seine) emo-
tionale Situation (Belastung), aber auch deine daraus, miteinander zu
sprechen. Stattdessen gab es von deiner Seite aus Vorwürfe. Ob nun
berechtigt oder nicht. Man kann es sehr wohl so sehen, dass ihr beide
in dieser Zeit mächtig überfordert gewesen damit seid, euren Konflikt
auf gesunde Art und Weise zu bewältigen.

Es mag auch sein, dass dich sein Verhalten verletzt hat usw. usf. Das
streitet er ja gar nicht ab. Nur, du siehst seine Seite hierbei viel zu we-
nig, obwohl er selbst auch verletzt gewesen und seine Seite ebenso
"wichtig" ist.

Wenn du mit ihm als Pärchen ernsthaft noch ein Chance haben möch-
test, dann vergib ihm, nachdem er sich ohnehin schon entschuldigt
hat und belass es auch dabei, anstatt ihm (insgeheim) ständig sein
Fehlverhalten von damals immer wieder vorhalten zu wollen.

An deiner Stelle wär mir viel wichtiger, ihm gegenüber Verständnis
zu zeigen und auf der anderen Seite mit ihm einen besseren Weg
auszuarbeiten und einzuschlagen, wie ihr als Team in Zukunft funk-
tionieren könntet. Eben gerade auch, wenn es mal kriselt usw. usf.
Was wünsche ich mir dann von meinem Partner (z.B. Gespräche,
Freiraum, eine faire und gesunde Kommunikation, Hilfe anbieten
aber nicht ungefragt aufdrängen, eher Trost als Gespräche usw.
usf.).

Liebe bedeutet auch, vergeben und sehen zu können, dass mein
Gegenüber wohl eher gutgesinnt zu mir eingestellt ist, selbst
dann, wenn er im Leben nicht zu jeder Zeit perfekt "funktioniert".
Dass man unabhängig davon selbst gesunde Grenzen setzen kön-
nen sollte, ist hingegen ein ganz anderes Thema.

Rein theoretisch hättest du ihn damals auch "gesünder" in seine
Schranken weisen und das Gespräch mit ihm darüber suchen
können, wie man eben "besser" miteinander umgeht bzw. indem
du ihn ausbremst und ihn vermittelst, was du dir hier konkret
anders von ihm wünschst, bei allem Verständnis das du sonst für
seine Situation haben magst.

Sowas muss nicht ständig in ein Drama ausarten. Manchmal be-
wirkt man schon viel, nimmt man den anderen einfach mal in
den Arm, wenn man sieht, dass er emotional einfach nur am
Ende bzw. eben überfordert ist.

Und dein Ex ist jetzt vermutlich eher verunsichert, als schüchtern.
Er weiß selbst, dass er sich fehlverhalten hat. Es ist seine Art, dir
das so zu vermitteln.
Lilly 22 ist offline   Mit Zitat antworten