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Alt 30.11.2000, 10:42   #1
Poet
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...für Prinzessin http://www.nocheineaoe.de/smilies2/amidala.gif Elisa Etienne Aimée...,




"Die Prinzessin und die Nixe"


Es war einmal eine Königin, die wohnte in einem herrlichen Schloß inmitten eines großen, schönen Parkes. Darin ging sie jeden Tag zu ihrer Freude und Erholung eine Stunde spazieren. Am liebsten aber hielt sie sich an dem blauen See auf, der hinter Wald und Weidengebüsch versteckt lag. Vom klaren Seegrund herauf hatte die Nixe ihr schon manchmal heimlich zugesehen und die schöne Menschenfrau liebgewonnen, und als nun die Königin eines Tages wieder am Ufer saß, tauchte die Wasserfrau auf, setzte sich zu ihr und unterhielt sich freundlich mit, ihr. Sie trafen sich nun öfters an diesem Ort und wurden zuletzt so vertraut miteinander, daß die Nixe bat, sie möchte einmal Patin bei ihrem ersten Töchterchen werden. Die Königin nahm dieses Anerbieten dankbar an, und als sie nicht lange danach ein Mädchen gebar, lud sie die Nixe herzlich zum Tauffest ein. Als der Tag da war, und die Königin alles gerichtet hatte, ging die Tür auf und die Nixe trat herein. Ihr Gesicht war so weiß und rein wie das der Wasserlilie, und ein zarter, silbergrauer Schleier umhüllte ihre Gestalt. Sie hielt das Kind zur Taufe, legte ihm als Patengeschenk drei kleine Vogeleier in die Wiege und sprach: "Bewahrt sie immer gut auf; sie könnten dem Kinde einmal nützlich werden!" Dann verschwand sie vor aller Augen wie ein leichter Nebelhauch. Die kleine Prinzessin war noch keine zwei Jahre alt, da starb die Mutter am bösen Fieber, und der König nahm bald darauf eine andere Frau. Die Stiefmutter aber konnte das Kind der Verstorbenen nicht leiden, bekümmerte sich nicht viel darum und überließ es Tag und Nacht einer Amme. Das Mädchen ging oft mit der kleinen Prinzessin im Park spazieren und ließ sie manchmal stundenlang ganz allein in der Nähe des Sees spielen. Da kam jedesmal die Nixe ans Ufer gestiegen, hütete sorgsam ihr Patenkind und erzählte ihm allerlei schöne und lustige Geschichten. Als die junge Königstochter herangewachsen war, geschah eines Tages ein schreckliches Unglück: Während ein Gewitter über das Land niederging, fuhr der Blitz in das Haus, tötete den König und legte das ganze Schloß in Schutt und Asche. Zum Glück hatte die Prinzessin die drei Vogeleier gerettet. Mit ihnen eilte sie nun in ihrer großen Not hinaus an den See, rief der Patin und erzählte ihr von dem Unglück, das geschehen war. Aber die Nixe tröstete sie: "Solange du die drei Vogeleier verwahrst, bist du immer noch reich genug! Sie bergen drei Wünsche, die dir, sobald du sie aussprichst, in Erfüllung gehen. Doch verschwende sie nicht leichtfertig, sondern bewahre dir den letzten für den Notfall auf!" Die Prinzessin bedankte sich herzlich bei der guten Patin und versprach, ihren Rat wohl zu beachten. "Und nun gehe durch diesen Wald", sprach die Nixe. "Du wirst bald zu einem schönen Schlosse kommen. Da gehe hinein und verdinge dich als Magd; es wird dein Schaden nicht sein." Nun wanderte die Königstochter mutterseelenallein in den großen, dunkeln Wald. Einen Tag lang war sie schon unterwegs, da begegnete sie einem einfachen Bauernmädchen. Und weil sie in Sorge war, daß man sie im Schlosse an ihren vornehmen Kleidern erkennen könnte und darum nicht zur, Magd nehmen würde, fragte sie das Mädchen, ob es nicht Lust habe, seine Bauernkleider gegen die ihrigen einzutauschen. "Ei, warum nicht, liebes Fräulein!" antwortete das Bauernmädchen, und tauschte ihr graues Werktagskleid gegen das schöne seidene Gewand der Königstochter. "Nun wird mich niemand erkennen", dachte die Prinzessin bei sich, und wanderte weiter durch den großen Wald, bis sie endlich zu dem Schlosse kam, dem sie schon von außen ansah, daß darin ein König wohnen mußte. Sie trat ein und fragte, ob man keine Magd brauche. O ja, man könne schon eine brauchen, hieß es. Weil sie aber gar zu jung und zart aussah, wollte man sie erst nicht nehmen. Sie aber gab nicht nach, verlangte nur geringen Lohn und versprach, alle Arbeiten in Haus und Hof zu tun. Da durfte sie endlich bleiben und 'mußte mit ihren feinen weißen Händen die härteste Arbeit verrichten, so daß sie davon bald ganz rauh und sonngebräunt wurden. Aber sie schaffte willig und fleißig und war stets freundlich gegen jedermann. Und so hatte sie es auch gut im Schloß, und ehe sie sich's recht versah, waren sieben Jahre dahingegangen. Da gedachte der junge Sohn des Königs sich zu verheiraten, und um sich die schönste Frau aussuchen zu können, veranstaltete er ein großes Fest, zu dem alle adeligen. und vornehmen Töchter des Landes eingeladen wurden. Wie nun die Gäste nacheinander in prächtigen Kleidern im Schlosse eintrafen, dachte die Prinzessin, die in der Küche drunten ihre geringen Magddienste tat: "Es wäre doch schön, wenn ich auch in dem herrlich geschmückten Saal beim Tanze sein könnte." Traurig saß sie in der Ecke neben dem Herde und sann vor sich hin. Da fielen ihr plötzlich die drei Wunscheier ein, und weil sie ihrem Verlangen gar nicht widerstehen konnte, schlich sie heimlich in ihre Kammer hinauf, wusch und kämmte sich und wünschte dann ein silbernes Kleid mit allem Schmuck, der dazugehörte. Im Augenblick lag alles auf dem Stuhle und war schöner, als sie es sich je hätte träumen lassen. Fröhlich zog sie es an, beschaute sich erst noch einmal im Spiegel und eilte dann in den Saal. Das schöne unbekannte Fräulein gefiel dem Königssohn so gut, daß er sich den ganzen Abend am liebsten mit ihr unterhielt und auch am meisten mit ihr tanzte. Während er aber wieder einmal eines der adeligen Fräulein zum Tanze führte, schlich sie heimlich aus dem Saal und in ihre Schlafkammer. Dort versteckte sie das prächtige Kleid unter dem Bett, zog wieder ihr schlichtes, graues Kleid an und tat ihre Arbeit wie zuvor. Nach vier Wochen gab der Königssohn wiederum ein Fest, und wie die Mägde einander erzählten, wollte er sich an diesem Abend seine zukünftige Frau aussuchen. Als es dunkel wurde, eilte die Prinzessin in ihre Kammer und tat den zweiten Wunsch. Diesmal wünschte sie sich ein Kleid aus Gold, goldene Schuhe und einen Schmuck aus den allerkostbarsten Diamanten. Im Augenblick lag alles auf dem Stuhle, sie zog es an und trat in den festlich beleuchteten Saal. Da staunten die Damen und Herren noch viel mehr als das erstemal über das wunderschöne fremde Fräulein; am meisten aber der junge Königssohn selber. Der wich den ganzen Abend nicht mehr von ihrer Seite und gestand ihr am Ende, daß er sie lieber habe als alles auf der Welt. Und wenn auch sie ihn liebhaben könne, so wolle er heute noch mit ihr Verlobung feiern. Sie aber antwortete: Das wäre alles recht und gut, doch sie fürchte, daß ihn sein Wort gereuen werde, wenn er erfahre, wer sie sei. - "Nein! Und tausendmal nein!" sprach da der Prinz. "Mögest du auch sein, wer du willst: ich habe niemand so lieb wie dich und kann ohne dich nicht mehr leben!" Da sagte sie endlich ja und dankte ihm mit einem Kuß für den Ring, den er ihr zum Zeichen des Verlöbnisses an den Finger steckte. Weil er sie aber so sehr liebte, wollte er sie so bald wie möglich für immer bei sich haben und sprach: "In vier Wochen soll die Hochzeit sein! Da werde ich dich mit vier schneeweißen Schimmeln in meiner goldenen Kutsche abholen! Darum sage mir, wo du wohnst und wie deines Vaters Burg heißt." - "Ach", sagte sie, "laß mich so wie bisher unerkannt und zu Fuß aufs Schloß kommen. Wenn wir uns dann zum dritten Male wiedersehen, sollst du alles erfahren." Dann verließ sie den Saal, ging heimlich in ihre Kammer, bewahrte das kostbare Gewand gut auf und zog wieder ihr einfaches Küchenkleid an. Wie im Fluge gingen die Wochen vorbei, und ehe die Prinzessin es recht bedacht, war der Hochzeitstag da. Sie hätte sich eigentlich von Herzen darüber freuen müssen; doch im Gegenteil: sie wurde traurig und verzagt, denn ihr fiel mit einemmal ein, daß sie das dritte und letzte Wunscheilein brauchte, wenn sie in einem weißen Kleide, so wie es Sitte war, zum Hochzeitsfest erscheinen wollte. Was sie aber ihrer Patin, der guten Nixe, beim Abschied versprochen, das wollte sie halten: der letzte Wunsch sollte aufbewahrt bleiben für den Fall der höchsten Not, aus der es keine andere Rettung mehr gab. So legte sie also das Wunschei in das silberne Döschen zurück und blieb als schlichte Magd in der Küche, obgleich sie als Königsbraut im Saale hätte prunken können. Dort aber stand der Bräutigam und wartete und wartete Stunde um Stunde und wurde immer trauriger und unglücklicher., weil seine liebe Braut nicht kam. Und als die, ganze Nacht und auch noch der andere Tag und der übernächste vorüberging, ohne daß sie erschienen war, dachte der Königssohn, seine Braut sei gestorben und auf immer von ihm gegangen. Da wurde er krank aus Kummer und Herzensnot, lag in schwerem Fieber, und kein Arzt konnte ihm helfen. Davon hörte auch die Prinzessin in der Küche. Jetzt machte sie sich bittere Vorwürfe, daß sie den letzten Wunsch zurückbehalten hatte und nicht zur Hochzeit erschienen war. Nun lag der arme Prinz zum Tode krank darnieder, und sie allein trug die Schuld daran. Und, sie liebte ihn doch so sehr. Tag und Nacht dachte sie nur an ihn, weinte und sann darüber nach, wie sie ihm helfen und sich ihm zu erkennen geben könnte. Da fiel ihr das aufbewahrte letzte Wunschei ein, und sogleich war sie wieder froh und voll Glück und Zuversicht. Sie nahm es behutsam aus dem Döschen und sprach: "Ich möchte dem Königssöhn, meinem Liebsten, helfen!" Dann bereitete sie eine schmackhafte Suppe, goß sie in eine silberne Schüssel und warf ihren Brautring hinein. Ungesehen stieg sie die Treppe empor, klopfte an die Türe zum Krankenzimmer und trat leise ein. - "Was bringst du mir da?" fragte mit matter Stimme der Königssohn. "Eßt diese Suppe, lieber Prinz. Sie wird Euch gut tun", sagte sie liebevoll. Und obwohl er zuerst müde und abweisend den Kopf schüttelte, versuchte er sie zuletzt doch, erst einen Löffel voll und dann noch einen, und allmählich schmeckte ihm die Suppe so gut, daß er die Schüssel ganz ausaß. Da sah er auf ihrem Grunde den Ring liegen, den er einst seiner Braut geschenkt hatte. "Wo ist sie, die den Ring in diese Schüssel warf? Gehe, Mädchen, und suche sie und führe sie eilends zu mir. Ich will es dir reichlich lohnen!" - Froh eilte die Prinzessin in ihre Kammer, legte das goldene Kleid und den kostbaren Schmuck an und trat so vor das Bett des Kranken. Da erkannte der Prinz seine Braut, umarmte und küßte sie und fühlte sich im Augenblick gesund. Die Braut aber sprach und spielte dabei ein wenig die Erzürnte: "Hast mich beim Tanze damals so oft und lange angesehen und mich doch nicht erkannt und geliebt, als ich im schlichten Magdkleide vor dir stand! Habe ich nicht recht gehabt, als ich dir sagte, du würdest mich nicht zur Frau nehmen, wenn du wüßtest, wer ich sei? Soll eine Königstochter nicht auch einmal im grauen Kleide gehen und Magddienste tun?" Da schloß er ihr den Mund mit einem Kusse und bat sie tausendmal um Verzeihung, und nach sieben Tagen hielten sie Hochzeit und waren ihr Leben lang das glücklichste Königspaar, von dem uns seit uralten Zeiten das Märchen zu erzählen weiß.




...gefunden, irgendwo in einer anderen Welt @ Phttp://www.nocheineaoe.de/smilies1/king.gifET
Poet ist offline  
Alt 30.11.2000, 10:42 #00
Administrator
Hallo Poet, in jeder Antwort auf deinen Beitrag findest du eine Funktion zum Melden bei Verstössen gegen die Forumsregeln.
Alt 03.12.2000, 06:00   #2
Poet
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...und wenn sie nicht gestorben sind...

http://www.imperium.de/animationen/anims2/beauty.gif

...dann tanzen sie noch heute!
[Geändert von poet am 02.12.2000 um 21:04 Uhr]
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Alt 03.12.2000, 07:34   #3
Prinzessin EEA
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DANKE FÜR DIE GESCHICHTE!!!!!!!! http://home.tiscalinet.de/feldratte/blume10.gif
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Prinzessin EEA ist offline  
Alt 03.12.2000, 07:35   #4
victoria
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Wirklich wunderschön, Flöhchen!!! Danke!
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victoria ist offline  
Alt 08.12.2000, 03:09   #5
Poet
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"Das Buch der Trolle"

Irgendwann im Monat März legte Trollvater sich in einen Schneehaufen zum Schlafen nieder.
"Jetzt kann ich nicht mehr", sagte er zu sich selber, kuschelte sich in seine alte Wolldecke ein und verkroch sich unter den Schnee. Trollvater wartete auf den Frühling. Tag für Tag blinzelte er zum Himmel hinauf; aber die Sonne kam und kam nicht hervor. Die Tage blieben dunkel und trist. So war es besser, die Zeit mit Schlafen zu vertreiben. Wie lange er schließlich so gelegen und geschlafen hatte, wußte Trollvater nicht. Als er jedoch aufwachte, war der Schnee fast weggeschmolzen, und vor ihm standen Lena und ihr kleiner Bruder. Sie zeigten ihm die kleinen Sträuße aus Leberblümchen und Huflattich, die sie gerade gepflückt hatten. Jetzt erst begriff Trollvater, was geschehen war; Der Frühling war endlich da!


Als es draußen kalt und unangenehm gewesen war, hatte es in Trollvaters alten Gelenken geknackt und geknirscht. Aber jetzt, da der Frühling gekommen war, fühlte er sich wieder jung. Er konnte es nicht lassen, mit großen Schritten den Hügel hinunter, und sogar den ganzen Weg bis ins Dorf zu rennen, wo die Trollkinder Hinkekästchen spielten.
"Aufgepaßt! Jetzt komme ich! Ich möchte mithüpfen!" - rief Trollvater.Alle Kinder kicherten, denn er sah wirklich zu komisch aus. Trollvater hatte einige Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht und schwankte hin und her, als er auf einem Bein hüpfte. Ein Stück weiter auf dem Weg standen zwei Trollomas und tratschten. Sie fragten sich natürlich, was wohl in Trollvater gefahren sein mochte. Sonst benahm er sich nämlich nicht so.


Als nun der Frühling gekommen war, vergingen die Tage wie im Fluge. Die Trolle mußten nicht lange warten, schon stand der Sommer vor der Tür. Die Sonne schien, und die Luft war warm. Unten am Ufer hatte sich eine Trollfamilie niedergelassen. Das kleinste Mädchen saß auf Trollmutters Schoß und guckte zu, wie Lena im Sand spielte. Sie hütete die Kühe, die ihr Trollvater aus Tannenzapfen gebastelt hatte. "Stellt euch vor, es ist wieder Sommer", sagte Trollmutter. "Ja, es ist schön", meinte Trollvater. "Den ganzen Winter haben wir in unseren engen Häuschen gesessen und immer nach draußen geguckt, und jetzt können wir uns im Freien aufhalten."


Tief im Trollwald war es dunkel und still. Dort kam nie Sonne hin, und es zwitscherten auch keine Vögel dort. Die Menschen mochten den Trollwald nicht, weil sie sich dort leicht verlaufen konnten und dann nie wieder aus dem Wald herausfanden. Aber für die Trolle war dies anders. Der Wald gehörte ihnen, und sie kannten ihn genau. Überall stapften sie herum, sammelten Tannenzapfen und suchten Pilze. Lena war gerne im Trollwald. Ihr gefiel es sehr, barfuß auf dem weichen Moos zu gehen und sich alleine zu beschäftigen. Eines Tages im Monat Juni entdeckte Lena etwas ganz Merkwürdiges: Zwischen den Bäumen wuchsen Blumen! Wunderschöne, rosafarbene Blumen! Das muß ich gleich dem Urgroßvater erzählen, dachte sie und rannte nach Hause. "Die Menschen geben dieser Blumenart seltsame Namen: Sie nennen sie Norne oder Calypso bulbosa", erklärte ihr der Urgroßvater. "Wir Trolle nennen sie einfach Winterblume. Wenn diese Blume blüht, wird der Winter lang und kalt."


"Bald kommt ein richtiger Trollwinter: kalt und dunkel und mit sehr viel Schnee", meinte der Urgroßvater. "Warum kann es nicht immer Sommer sein?" fragte Lena. "Ich mag den Winter nicht." "Du brauchst keine Angst zu haben", sagte Trollmutter. "Sieh mich nur an! Ich habe schon so viele Trollwinter erlebt und sie doch alle gut überstanden. Man muß sich nur ordentlich auf den Winter vorbereiten!" Dann nahm Trollmutter ihre Kinder mit hinaus ins Moor, um Wollgras zu pflücken. Das kleinste Mädchen war müde und schlief gleich ein, aber Lena und ihr kleiner Bruder halfen ihrer Mutter, Sack für Sack mit dem feinen weißen Wollgras zu füllen. Zu Hause wollte Trollmutter aus dem Wollgras Garn spinnen. Aus dem Garn wollte sie dann einen Stoff weben und aus dem Stoff viele Trollkleider nähen: dicke, warme Trollkleider für den Trollwinter.


Jetzt wußten alle Trolle, was auf sie zukam. Aber es genügte nicht nur, das sie warme Kleider trugen, um den Trollwinter gut zu überstehen, sie mußten auch viele Essensvorräte anlegen. Als die Lachse die Flüsse hinaufzogen, war es höchste Zeit, die Fischnetze hervorzuholen. Viele Netze waren zerrissen und konnten nicht mehr geflickt werden; aus diesem Grunde mußten alle Trollomas und Trollopas mithelfen, neue Netze zu knüpfen. Die Trolle hatten Glück, denn in diesem Jahr gab es reichlich Fische. Als sie die Netze aus dem Fluß herauszogen, waren diese voll mit zappelnden Lachsen. Bevor die Trolle sich daranmachten, den großen Fang für den Winter zuzubereiten, aßen sie sich erst einmal satt an frisch gegrilltem Lachs. Anschließend mußten die restlichen Fische ausgenommen werden. Einige wurden geräuchert, andere gesalzen, doch die meißten Fische wurden zum Trocknen aufgehängt. Getrockneter Fisch nämlich läßt sich leicht den ganzen Winter über aufbewahren.


Lena hatte einen kleinen Bruder, der Tusse hieß. Er war noch zu klein, um die Netze aus dem Wasser zu ziehen. "Ich möchte auch Fische fangen!" rief Tusse, aber die großen Trolle erlaubten es ihm nicht. Später am Nachmittag sah Onkel Donar den kleinen Tusse, der alleine auf einem Stein saß und sehr traurig war. "Hör zu, Tusse", sagte Onkel Donar zu ihm, "jetzt gehen wir beide zum Waldsee und fangen Forellen!" Nun war Tusse wieder fröhlich. Gegen Abend fing er ganz alleine eine große Forelle und war sehr stolz darauf. Onkel Donar hatte derweil ein Feuer angefacht und fragte Tusse, ob sie die Forelle zum Abendessen grillen wollten. Doch Tusse antwortete nicht. Nach diesem langen Tag war er so müde geworden, das er längst mit dem Fisch in seinen Händen eingeschlafen war. Onkel Donar schmunzelte und deckte den kleinen Tusse mit seiner warmen Jacke zu.


Der Sommer verging so schnell wie im Fluge. Die Tage wurden kürzer, und der Herbst rückte näher. Der Boden war voller Beeren und Pilze, und die Trolle sammelten und pflückten alles, was eßbar war. Tusse pflückte fleißig Preiselbeeren. Seine kleine Schwester Tossa sammelte die Beeren nicht, sondern aß sie lieber gleich auf. Außerdem stieß sie einen von Großmutters Körben um. Doch das war nicht so schlimm, denn die Trolle hatten gemeinsam so viele Preiselbeeren gepflückt, das alle Großmütter eine volle Woche lang damit beschäftigt waren, die Beeren einzukochen. Die Speisekammern füllten sich nun mit Preiselbeersaft, Preiselbeermarmelade und Preiselbeermus. Ihre Erdhöhlen füllten die Trolle mit Kartoffeln und Steckrüben, und in ihren Holzschuppen lagerten sie Berge getrockneten Fischs. Endlich hatten sie genügend Vorräte für den Winter zusammengetragen.


Eines Tages wanderten Onkel Donar und der kleine Tusse durch den Wald. "Was geschieht mit den Tieren im Wald hier, wenn es kalt wird?" wollte Tusse wissen. Onkel Donar erzählte es ihm. Er erzählte von den Rehen und den Hasen, denen ein dickes Winterfell wächst, damit sie nicht frieren müssen; er erzählte von den Eichhörnchen und den Igeln, die den Winter über schlafen. Er erzählte auch von den Vögeln: einige ertragen den kalten Trollwinter und bleiben, andere ziehen in wärmere Länder. "Warum ziehen die Trolle im Winter nicht auch in wärmere Länder?" fragte Tusse. "Ein Troll kann nicht fliegen, und zu Fuß ist es zu weit", antwortete Onkel Donar: "Die Trolle haben sich an den kalten Winter gewöhnt." Sie gingen den Waldweg entlang, und Tusse dachte darüber nach, was Onkel Donar gesagt hatte. Plötzlich war der Wald zu Ende. "Siehst du das Moor dort hinten?" flüsterte Onkel Donar: "Dort tanzenm die Elfen." "Elfen? Was machen die Elfen im Winter?" fragte Tusse. "Sie verschwinden einfach; ich weiß nicht mal wohin. Man kann schließlich nicht alles wissen", antwortete Onkel Donar ihm.


Der große See lag glatt wie ein Spiegel. Die Luft war klar, doch auch kühl. Nach einer Fahrt mit ihrem Ruderboot ging die Trollfamilie gerade wieder an Land zurück. An jedem schönen Sommerabend nämlich packten sie ihren Rucksack voll und ruderten auf den See hinaus, um dort den Sonnenuntergang zu beobachten und gleichzeitig Abendbrot zu essen. Inzwischen war es Herbst geworden. "Dies war das letzte mal in diesem Jahr", sagte Trollvater, "jetzt muß das Boot aufs Land. Die alte Farbe muß abgekratzt und das Boot neu gestrichen werden." "Aber es ist doch noch gar nicht Winter", wandte Tusse ein. "Trollvater weiß schon, was er macht", antwortete Trollmutter: "Es kann plötzlich kälter werden. Sieh dir nur die Berggipfel an!" Tusse schaute zu den Bergen hin. Da sah auch er die ersten weißen Schneeflecken.


An einem Tag im Oktober begann es plötzlich zu schneien. Doch es dauerte nicht lange, so taute der Schnee schon wieder, da die Sonne hervorguckte. Wie üblich spielten die Trolljungen draußen auf der Straße mit Murmeln. „Wollt ihr wirklich zu dieser späten Jahreszeit noch barfuß laufen?“ wollte Trollvater wissen. „Wir frieren kein bißchen“, antworteten die Jungen. Sie waren so sehr in ihr Spiel vertieft, das sie nicht einmal bemerkten, wie kalt es wirklich geworden war. „Ja, ja“, murmelte Trollvater vor sich hin, „als Junge war ich genauso.“ Aber am nächsten Tag zogen dir Jungen doch ihre Strümpfe und Schuhe an, bevor sie zum Spielen hinausgingen, denn es war plötzlich eiskalt geworden.


Bei dieser Kälte fror über Nacht der See zu. Am Tag darauf war das Eis schon so dick, das man darauf gehen konnte, ohne einzubrechen. Alle Trollkinder holten ihre Schlittschuhe hervor und fingen an zu laufen. Lena hatte erst im letzten Winter Schlittschuhlaufen gelernt, aber im Sommer fast alles wieder vergessen. Auf wackeligen Beinen machte sie einige vorsichtige Schritte, und es klappte schon ganz gut, solange sie geradeaus lief. Doch als sie im Kreise laufen wollte, verlor sie das Gleichgewicht und fiel hin. Ein Trolljunge, der Ove hieß, half ihr wieder auf die Beine. Ove konnte wirklich sehr gut Schlittschuh laufen. Er nahm Lena bei der Hand, und nun war es längst nicht mehr so schwierig. Ove und Lena liefen den ganzen Abend zusammen. Selbst als es schon Nacht geworden und der Mond aufgegangen war, schienen die beiden immer noch nicht müde zu werden.


Nachdem es wochenlang geschneit hatte, konnte man auf dem See nicht mehr so gut Schlittschuh laufen. Dafür aber liefen die Trolle nun Ski und fuhren mit ihren Tretschlitten. Trollvater war den ganzen Tag lang alleine auf dem See. Er bohrte ein Loch durchs dicke Eis und angelte stundenlang durch dieses Loch. Nur selten biß ein Fisch an, und wenn er mal einen Fisch aus dem Wasser zog, dann war es nur ein kleiner Barsch. Manchmal kamen Trollmutter und der kleine Täcks vorbei, um Trollvater heißen Kaffee und Butterbrote zu bringen. „Du hast ja heute nur einen einzigen kleinen Fisch gefangen“, sagte der kleine Täcks und berührte vorsichtig den Barsch. „Warum sitzt du hier, wenn doch keine Fische anbeißen?“ „Ja, warum nur?“ fragte sich Trollvater und strich dabei über seinen langen Bart. „Ich weiß warum“, antwortete Trollmutter: „Nicht das Angeln ist das wichtigste. Trollvater sitzt hier gerne alleine und denkt über das Leben nach.“ „Ja, so ist es“, sagte Trollvater.


Am nächsten Tag hörte es auf zu schneien. „Jetzt habe ich genug geangelt“, sagte Trollvater: „Nun wird es Zeit etwas Nützliches zu tun.“ Darauf ging er in den Holzschuppen, nahm die Säge und die Axt, packte seinen Rucksack und lud alles auf seinen Schlitten. „Du mußt auch mit in den Wald, Tusse!“ rief Trollvater. „Du bist im Sommer so groß und stark geworden, das ich dich im Wald gut gebrauchen kann.“ Tusse war sehr stolz, da eigentlich nur die großen Trolle im Wald arbeiteten. Trollvater und Tusse begannen Holz zu sägen, denn die Trolle hatten sehr viel Holz nötig, um ihre Wohnungen den ganzen Winter über zu beheizen. Es knackte und krachte im ganzen Wald, als die großen Bäume gefällt wurden. Die Vögel flogen erschreckt in alle Himmelsrichtungen davon. Als Trollvater und Tusse eine Pause machten, kamen sie jedoch wieder zurück. Eine kleine Meise hatte keine Angst; sie setzte sich auf Trollvaters Brot und pickte etwas von seiner Wurst.


Eines Abends im Dezember gab Lenas Großmutter für alle Kinder ein Fest. Trollvater durfte an dem Fest teilnehmen, weil er auch so gerne Brei mochte. „Das habe ich von den Menschen gelernt“, erzählte die Großmutter. „Alle Jahre wieder kochen sie besonders an diesem Abend einen schönen Reisbrei.“ „Ich habe gehört, das die Menschenkinder dann auch Pakete mit Geschenken darin bekommen“, sagte Lena. „Das möchten wir auch“, riefen alle Kinder. „Das geht zu weit!“ rief die Großmutter aus. „Ihr bekommt doch Geburtstagsgeschenke, und das reicht.“ „Ich finde, es ist eine gute Idee der Menschen“, meinte Trollvater, denn er ließ sich gerne beschenken. „Na gut, ich muß darüber nachdenken“, antwortete die Großmutter, und rührte dabei weiter den Brei.


Bevor es Zeit war, ins Bett zu gehen, liefen Lena und der kleine Täcks den Berg hinauf. Täcks war der kleinste Bruder von Lena. Er hielt seine große Schwester ganz fest an der Hand, denn er hatte ein wenig Angst im Dunkeln. „Ich möchte dir nur die Sterne zeigen“, sagte Lena und zeigte mit der Hand zum Nachthimmel hinauf. Der kleine Täcks blinzelte und spähte. Es war das erste Mal, das er so spät abends draußen war, und er hatte noch nie in seinem Leben so viele Sterne auf einmal gesehen. Sie funkelten und strahlten nur so über den ganzen Himmel. „Das sind aber viele Sterne“, sagte der kleine Täcks. „Ja, so sieht der Himmel in einer richtigen Winternacht aus“, erklärte Lena, und ihr war ganz feierlich zumute. Lena dachte an das ganze zurückliegende Jahr, und ganz besonders an den Tag, an dem sie die Blumen im Wald entdeckt hatte. Es war ein langer, kalter Winter geworden, genau wie der Urgroßvater es vorhergesagt hatte. Vor einem kalten Winter jedoch hatte Lena nun keine Angst mehr. Denn auch ein harter Trollwinter – das wußte sie jetzt – ging irgendwann zu Ende...,

...und dann kam ein neuer Frühling.




***erzählt von Jan Lööf, nach einer Bildergeschichte von Rolf Lidberg***




[Geändert von poet am 08.12.2000 um 16:14 Uhr]
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Poet ist offline  
Alt 08.12.2000, 08:19   #6
victoria
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victoria ist offline  
Alt 14.12.2000, 09:22   #7
Poet
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"Die kleine Seejungfer"

Weit draußen im Meere ist das Wasser so blau wie die Blütenblätter der schönsten Kornblume, und so klar wie das reinste Glas, aber es ist dort sehr tief, tiefer als irgendein Ankertau reicht, viele Kirchtürme müßten aufeinandergestellt werden, um vom Grunde bis über das Wasser zu reicher. Dort unten wohnt das Meervolk.

Nun muß man nicht etwa glauben, daß dort nur der nackte, weiße Sandboden sei! Nein, da wachsen die wundersamsten Bäume und Pflanzen, deren Stiele und Blätter so geschmeidig sind, daß sie sich bei der geringsten Bewegung des Wassers rühren, als ob sie lebend wären. Alle Fische, klein und groß, schlüpfen zwischen den Zweigen hindurch, gerade wie hier oben die Vögel in der Luft. An der allertiefsten Stelle liegt des Meerkönigs Schloß. Die Mauern sind aus Korallen und die langen spitzen Fenster von allerklarstem Bernstein. Das Dach aber besteht aus Muschelschalen, die sich öffnen und schließen, je nachdem das Wasser strömt; das sieht prächtig aus, denn in jeder liegen strahlende Perlen, eine einzige davon würde der Stolz einer Königskrone sein.

Der Meerkönig dort unten war seit vielen Jahren Witwer, aber seine alte Mutter besorgte sein Haus. Sie war eine kluge Frau, doch recht stolz auf ihren Adel deshalb trug sie zwölf Austern auf dem Schwanze während die anderen Vornehmen nur sechs tragen durften.-Sonst verdiente sie großes Lob, besonders weil sie die kleinen Meerprinzessinnen, ihre Enkelinnen, so liebte. Das waren sechs prächtige Kinder, aber die jüngste war die schönste von allen. Ihre Haut war so klar und zart wie ein Rosenblatt, ihre Augen so blau wie die tiefste See, aber ebenso wie alle die anderen hatte sie keine Füße. Ihr Körper endete in einem Fischschwanz.

Den lieben langen Tag durften sie unten im Schlosse, wo lebendige Blumen aus den Wänden wuchsen, spielen. Die großen Bernsteinfenster wurden aufgemacht, und dann schwammen die Fische zu ihnen herein, gerade wie bei uns die Schwalben hereinfliegen wenn wir die Fenster aufmachen. Aber die Fische schwammen geradeswegs auf die kleinen Prinzessinnen zu, fraßen aus ihren Händen und ließen sich streicheln.

Draußen vor dem Schlosse war ein großer Garten mit feuerroten und dunkelblauen Bäumen, die Früchte strahlten wie Gold und die Blumen wie brennendes Feuer, indem sie fortwährend Stengel und Blätter bewegten. Der Boden selbst war der feinste Sand aber blau wie Schwefelflamme. Über dem Ganzen dort unten lag ein seltsamer blauer Schein, man hätte eher glauben mögen, daß man hoch oben in der Luft stände und nur Himmel über und unter sich sähe, als daß man auf dem Meeresgrunde sei. Bei Windstille konnte man die Sonne sehen, sie erschien wie eine Purpurblume aus deren Kelche alles Licht strömte.

Jede der kleinen Prinzessinnen hatte ihren kleinen Fleck im Garten, wo sie graben und pflanzen konnte, ganz wie sie wollte. Eine gab ihrem Blumenbeet die Gestalt eines Walfisches, einer anderen erschien es hübscher, daß das ihre einem Meerweiblein glich, aber die Jüngste machte ihr Beet ganz rund wie die Sonne und hatte nur Blumen darauf, die so rot wie diese leuchteten. Sie war ein seltsames Kind, still und nachdenklich, und während die anderen Schwestern sich mit den merkwürdigsten Sachen, die aus gestrandeten Schiffen genommen waren, putzten, wollte sie nur, außer ihren rosenroten Blumen, die der Sonne dort oben glichen, ein schönes Marmorbild haben. Es war ein herrlicher Knabe, aus weißem, klarem Stein gehauen, der beim Stranden auf den Meeresboden gesunken war. Sie pflanzte neben dem Bilde eine rosenrote Trauerweide, die prächtig wuchs und mit ihren frischen Zweigen darüber hing bis auf den blauen Sandboden hinab, wo der Schatten sich violett färbte und gleich den Zweigen in sanfter Bewegung war; es sah aus, als ob die Spitze und die Wurzeln miteinander spielten, als ob sie sich küssen wollten.

Sie kannte keine größere Freude, als von der Menschenwelt über ihr zu hören, die alte Großmutter mußte ihr alles erzählen, was sie wußte von den Schiffen und Städten, Menschen und Tieren. Ganz besonders wunderbar und herrlich erschien es ihr, daß oben auf der Erde die Blumen dufteten, denn das taten sie auf dem Meeresboden nicht, und daß die Wälder grün waren und die Fische, die man dort auf den Zweigen sieht, so laut und lieblich singen konnten, daß es eine Lust war. Es waren die kleinen Vögel, die die Grobmutter Fische nannte, denn sonst hätten es die Kinder nicht verstehen können, da sie nie einen Vogel gesehen hatten.

"Wenn Ihr Euer fünfzehntes Jahr erreicht habt," sagte die Grobmutter, "so werdet Ihr Erlaubnis bekommen, aus dem Meere emporzutauchen, im Mondschein auf den Klippen zu sitzen und die großen Schiffe vorbeisegeln zu sehen, auch die Wälder und Städte sollt Ihr dann sehen!" Im nächsten Jahre wurde die eine von den Schwestern fünfzehn Jahre, aber die anderen, die eine war immer ein Jahr jünger als die andere, die Jüngste mußte also noch fünf lange Jahre warten, bevor sie vom Meeresgrund aufsteigen und sehen konnte, wie es bei uns aussieht. Aber die eine versprach der anderen zu erzählen, was sie gesehen und am ersten Tage am schönsten gefunden hätte denn ihre Grobmutter erzählte ihnen nicht genug, da war noch so vieles, worüber sie Bescheid wissen mußten.

Keine war so sehnsuchtsvoll, wie die Jüngste, gerade sie, die am längsten Zeit zu warten hatte und die so still und gedankenvoll war. Manche Nacht stand sie am offenen Fenster und sah hinauf durch das dunkelblaue Wasser, wo die Fische mit ihren Flossen und Schwänzen einherruderten. Mond und Sterne konnte sie sehen; zwar leuchteten sie nur ganz bleich, aber durch das Wasser sahen sie viel größer aus, als für unsere Augen; glitt es dann gleich einer schwarzen Wolke unter ihnen dahin, so wußte sie, daß es entweder ein Walfisch war, der über ihr schwamm, oder auch ein Schiff mit vielen Menschen; die dachten gewiß nicht daran, daß eine liebliche kleine Seejungfer unten stand und ihre weißen Hände gegen den Kiel emporstrecken.

Nun war die älteste Prinzessin fünfzehn Jahre alt und durfte zur Meeresoberfläche aufsteigen.

Als sie zurückkam, wußte sie hundert Dinge zu erzählen, das herrlichste jedoch, sagte sie, wäre, im Mondschein auf einer Sandbank in der ruhigen See zu liegen und zu der großen Stadt dicht bei der Küste hinüberzuschauen, wo die Lichter blinkten wie hundert Sterne, die Musik und den Lärm und die Geräusche der Wagen und Menschen zu hören, die vielen Kirchtürme und Giebel zu sehen und zu hören, wie die Glocken läuten. - Und die Jüngste sehnte sich immer mehr nach diesem allen, gerade weil sie noch nicht hinauf durfte.

O, wie horchte sie auf, und wenn sie dann abends am offenen Fenster stand und durch das dunkelblaue Wasser hinaufsah, dachte sie an die große Stadt mit all ihrem Lärm und Geräusch, und dann vermeinte sie, die Kirchenglocken bis zu sich herunter läuten zu hören.

Ein Jahr danach bekam die zweite Schwester Erlaubnis, durch das Wasser aufzusteigen und zu schwimmen, wohin sie wollte. Sie tauchte auf, gerade als die Sonne unterging, und dieser Anblick erschien ihr das schönste. Der ganze Himmel habe wie Gold ausgesehen, sagte sie, und die Wolken - Ja, deren Herrlichkeit konnte sie nicht genug beschreiben! Rot und violett waren sie über ihr dahingesegelt, aber weit hurtiger als sie flog, wie ein langer weißer Schleiers ein Schwarm wilder Schwäne über das Wasser hin, wo die Sonne stand. Sie schwamm ihr entgegen, aber sie sank, und der Rosenschimmer erlosch auf der Meeresfläche und den Wolken.

Im Jahre darauf kam die dritte Schwester hinauf. Sie war die dreisteste von allen. Darum schwamm sie einen breiten Fluß hinauf, der in das Meer mündete. Herrliche grüne Hügel mit Weinreben sah sie, und Schlösser und Bauernhöfe schauten zwischen den prächtigen Wäldern hervor, sie hörte, wie alle Vögel sangen, und die Sonne schien so warm, daß sie untertauchen mußte, um im Wasser ihr brennendes Antlitz zu kühlen. In einer kleinen Bucht traf sie eine Schar kleiner Menschenkinder, ganz nackend liefen sie im Wasser umher und plätscherten, sie wollte mit ihnen spielen, aber sie waren erschreckt davon gelaufen, und ein kleines schwarzes Tier war gekommen - das war ein Hund, aber sie hatte nie zuvor einen Hund gesehen -, der bellte sie so schrecklich an, daß sie es mit der Angst bekam und schnell in die offene See zu kommen suchte. Aber niemals konnte sie die prächtigen Wälder vergessen, und die grünen Hügel und die niedlichen Kinder, die im Wasser schwimmen konnten, obwohl sie keinen Fischschwanz hatten.

Die vierte Schwester war nicht so dreist, sie blieb draußen mitten im wilden Meer und erzählte, daß gerade das das Herrlichste gewesen wäre: Man sehe viele Meilen weit umher, und der Himmel stände über einem wie eine große Glasglocke. Schiffe hätte sie gesehen, aber weit in der Ferne, sie sähen aus wie Strandmöven; die lustigen Delfine hätten Purzelbäume geschlagen, und die großen Walfische hätten aus ihren Nasenlöchern Wasser hoch in die Luft gespritzt, so daß es wie hundert Springbrunnen ringsumher ausgesehen habe.-

Nun kam die Reihe an die fünfte Schwester; ihr Geburtstag fiel gerade in den Winter, und darum sah sie, was die anderen das erste Mal nicht gesehen hatten. Das Meer nahm sich ganz grün aus, und ringsum schwammen große Eisberge. Jeder sähe aus, wie eine Perle, sagte sie, und doch sei er größer als die Kirchtürme, die die Menschen bauten. In den seltsamsten Gestalten zeigten sie sich und funkelten wie Diamanten. Sie hatte sich auf einen der größten gesetzt, und alle Segler kreuzten erschrocken in großem Bogen dort vorbei, wo sie saß und ihre Haare im Winde fliegen ließ. Aber gegen Abend überzog sich der Himmel mit schwarzen Wolken, es blitzte und donnerte, während die schwarze See die großen Eisblöcke hoch emporhob und sie in rotem Lichte erglänzen ließ. Auf allen Schiffen nahm man die Segel herein, und überall herrschte Angst und Grauen, sie aber saß ruhig auf ihrem schwimmenden Eisberg und sah die blauen Blitze im Zickzack in die schimmernde See herniederschlagen. Das erste Mal, wenn eine der Schwestern über das Wasser emporkam, war jede entzückt über all das Neue und Schöne. was sie sah, aber da sie nun als erwachsene Mädchen emporsteigen durften, wann sie wollten, wurde es ihnen gleichgültig, sie sehnten sich wieder nach Hause zurück, und nach eines Monats Verlauf sagten sie, daß es doch unten bei ihnen am allerschönsten sei, man sei da so hübsch zu Hause.

In mancher Abendstunde faßten sich die fünf Schwestern an den Händen und stiegen in einer Reihe über das Wasser hinauf. Herrliche Stimmen hatten sie, schöner als irgendein Mensch, und wenn dann ein Sturm heraufzog, so daß sie annehmen konnten, daß Schiffe untergehen würden, so schwammen sie vor den Schiffen her und sangen so wundersam, wie schön es auf dem Meeresgrunde sei, und sie baten die Schiffer, sich nicht zu fürchten vor dem Untergehn, aber diese konnten die Worte nicht verstehen und glaubten, es wäre der Sturm. Und sie bekamen die Herrlichkeiten da unten auch nicht zu sehen, denn wenn das Schiff sank, ertranken die Menschen und kamen nur als Tote zu des Meerkönigs Schloß.

Wenn die Schwestern so Arm in Arm am Abend durch die See hinaufstiegen, dann stand die kleine Schwester ganz allein und sah ihnen nach, und es war ihr, als ob sie weinen müßte, aber Seejungfern haben keine Tränen und leiden darum viel schwerer.

"Ach, wäre ich doch fünfzehn Jahre!" sagte sie, "ich weiß, daß ich die Welt da oben und die Menschen, die dort bauen und wohnen, recht in mein Herz schließen werde!"

Endlich war sie fünfzehn Jahre alt.

"Sieh, nun bist du erwachsen," sagte ihre Grobmutter die alte Königin-Witwe. "Komm nun und lasse dich von mir schmücken wie deine anderen Schwestern!" Und sie setzte ihr einen Kranz von weißen Lilien ins Haar, aber jedes Blumenblatt war eine halbe Perle: und dann ließ die Alte acht große Austern sich im Schwanze der Prinzessin festklemmen, um ihren hohen Stand zu zeigen.

"Das tut so weh!" sagte die kleine Seejungfer.

"Ja, Adel hat seinen Zwang!" sagte die Alte.

Ach, sie würde so gerne die ganze Pracht abgeschüttelt und den schweren Kranz weggelegt haben, ihre roten Blumen im Garten kleideten sie viel besser, aber das nutzte nun nichts mehr. "Lebewohl," sagte sie und stieg leicht und klar, gleich einer Blase, im Wasser empor. Die Sonne war gerade untergegangen, als sie ihr Haupt aus dem Wasser erhob, aber alle Wolken leuchteten noch wie Rosen und Gold, und mitten in der zartroten Luft strahlte der Abendstern so licht und klar. Die Luft war mild und frisch und das Meer windstill. Da lag ein großes Schiff mit drei Masten. Nur ein einziges Segel war aufgezogen, denn nicht ein Lüftchen rührte sich und rings im Tauwerk und auf den Stangen saßen Matrosen. Da war Musik und Gesang, und als es abends dunkelte, wurden hunderte von bunten Lichtern angezündet; und es sah aus, als ob die Flaggen aller Nationen in der Luft wehten. Die kleine Seejungfer schwamm bis dicht an das Kajütenfenster, und jedesmal, wenn das Wasser sie emporhob, konnte sie durch die spiegelklaren Scheiben sehen, wie viele geputzte Menschen drinnen standen, aber der schönste war doch der junge Prinz mit den großen schwarzen Augen. Er war gewiß nicht viel über sechzehn Jahre; es war sein Geburtstag, und darum herrschte all die Pracht. Die Matrosen tanzten auf dem Deck, und als der junge Prinz heraustrat, stiegen über hundert Raketen in die Luft empor, die leuchteten wie der klare Tag, so daß die kleine Seejungfer ganz erschreckt ins Wasser niedertauchte, aber sie steckte den Kopf bald wieder hervor und da war es, als ob alle Sterne des Himmels auf sie herniederfielen. Niemals hatte sie solche Feuerkünste gesehen. Große Sonnen drehten sich sprühend herum, Feuerfische schwangen sich in die blaue Luft, und alles spiegelte sich in der klaren, stillen See. Auf dem Schiffe selbst war es so hell, daß man jedes kleine Tau sehen konnte, wieviel genauer noch die Menschen. Ach, wie schön war doch der junge Prinz, und er drückte den Leuten die Hand und lächelte, während die Musik in die herrliche Nacht hinausklang.

Es wurde spät, aber die kleine Seejungfer konnte die Augen nicht von dem Schiffe und von dem schönen Prinzen wegwenden. Die bunten Lichter wurden gelöscht, Raketen stiegen nicht mehr empor, und auch keine Kanonenschüsse ertönten mehr, aber tief unten im Meere summte und brummte es. Sie saß inzwischen und ließ sich vom Wasser auf und nieder schaukeln, so daß sie in die Kajüte hineinsehen konnte; aber jetzt bekam das Schiff stärkere Fahrt, ein Segel nach dem anderen breitete sich aus, die Wogen gingen höher, große Wolken zogen herauf, es blitzte in der Ferne. Ein schreckliches Unwetter war im Anzuge, deshalb nahmen die Matrosen die Segel ein. Das große Schiff schaukelte in fliegender Fahrt auf der wilden See. Die Wogen stiegen auf wie große, schwarze Berge, die sich über die Masten wälzen wollten, aber das Schiff tauchte wie ein Schwan zwischen den hohen Wogen nieder und ließ sich wieder emportragen auf die aufgetürmten Wasser. Der kleinen Seejungfer schien es eine recht lustige Fahrt zu sein, aber den Seeleuten er

schien es ganz und gar nicht so. Das Schiff knackte und krachte, die dicken Planken bogen sich bei den starken Stößen, mit denen sich die See gegen das Schiff warf, der Mast brach mitten durch, als ob er ein Rohr wäre, und das Schiff schlingerte auf die Seite, während das Wasser in den Raum drang. Nun sah die kleine Seejungfer, daß sie in Gefahr waren. Sie mußte sich selbst in acht nehmen, vor den Balken und Schiffstrümmern, die auf dem Wasser trieben. Einen Augenblick war es so kohlschwarze Finsternis, daß sie nicht das mindeste gewahren konnte, aber wenn es dann blitzte, wurde es wieder so hell, daß sie alle auf dem Schiffe erkennen konnte; jeder tummelte sich, so gut er konnte. Besonders suchte sie nach dem jungen Prinzen, und sie sah ihn, als das Schiff verschwand, in das tiefe Meer versinken. Zuerst war sie sehr froh darüber, denn nun kam er ja zu ihr herunter, aber dann erinnerte sie sich, daß Menschen nicht unter dem Wasser leben können, daß er also nur als Toter hinunter zu ihres Vaters Schloß gelangen konnte. Nein, sterben durfte er nicht; deshalb schwamm sie hin zwischen die Balken und Planken, die auf dem Meere trieben, und vergaß ganz daß sie von ihnen hätte zermalmt werden können. Sie tauchte tief unter das Wasser, stieg wieder empor zwischen den Wogen und gelangte so zuletzt zu dem jungen Prinzen hin, der kaum mehr in der stürmischen See schwimmen konnte, seine Arme und Beine begannen zu ermatten, die schönen Augen schlossen sich, und er wäre gestorben, wenn nicht die kleine Seejungfer dazu gekommen wäre. Sie hielt seinen Kopf über Wasser und ließ sich so von den Wogen mit ihm treiben, wohin sie wollten.

Am Morgen war das Unwetter vorüber, vom Schiffe war nicht ein Span mehr zu sehen, die Sonne stieg rot empor und glänzte über dem Wasser, und es war gerade, als ob des Prinzen Wangen Leben dadurch erhielten, aber die Augen blieben geschlossen. Die Seejungfer küßte seine hohe, schöne Stirn und strich sein nasses Haar zurück, sie dachte, daß er dem Marmorbilde unten in ihrem kleinen Garten gliche, und sie küßte ihn wieder und wünschte, daß er doch leben möchte.

Nun sah sie vor sich das feste Land, hohe blaue Berge, auf deren Gipfel der weiße Schnee schimmerte, als ob Schwäne dort oben lägen. Unten an der Küste waren herrliche grüne Wälder, und vorn lag eine Kirche oder ein Kloster, das wußte sie nicht recht, aber ein Gebäude war es. Zitronen- und Apfelsinenbäume wuchsen dort im Garten, und vor den Toren standen große Palmenbäume. Die See bildete hier eine kleine Bucht, da war es ganz still, aber sehr tief. Bis dicht zu den Klippen, wo der feine" weiße Sand angespült lag, schwamm sie mit dem schönen Prinzen, legte ihn in den Sand, und sorgte besonders dafür, daß der Kopf hoch im warmen Sonnenschein lag.

Nun läuteten die Glocken in dem großen weißen Gebäude, und es kamen viele junge Mädchen durch den Garten. Da schwamm die kleine Seejungfer etwas weiter hinaus hinter ein paar große Felsen, die aus dem Meere aufragten, bedeckte ihre Brust und ihr Haar mit Meerschaum, so daß niemand ihr kleines Antlitz sehen konnte, und dann paßte sie auf, wer zu dem armen Prinzen kommen würde.

Es dauerte nicht lange, bis ein junges Mädchen dahin kam. Sie schien sehr erschrocken, aber nur einen Augenblick, dann holte sie mehrere Leute herbei, und die Seejungfer sah, daß der Prinz wieder zu sich kam und alle anlächelte, aber hinaus zu ihr lächelte er nicht, er wußte ja auch nicht, daß sie ihn gerettet hatte; sie wurde sehr traurig, und als er in das große Gebäude geführt wurde, tauchte sie betrübt ins Wasser hinab und kehrte heim zu ihres Vaters Schloß.

Immer war sie still und gedankenvoll gewesen, aber nun wurde sie es noch weit mehr. Die Schwestern fragten sie, was sie das erste Mal dort oben gesehen habe, aber sie erzählte nichts.

Manchen Abend und Morgen stieg sie auf zu der Stelle, wo sie den Prinzen verlassen hatte. Sie sah des Gartens Früchte reifen und gepflückt werden, sie sah den Schnee auf den hohen Bergen schmelzen, aber den Prinzen sah sie nicht, und deshalb kehrte sie immer betrübter heim. Es war ihr einziger Trost, in dem kleinen Garten zu sitzen und ihre Arme um das schöne Marmorbild, das dem Prinzen glich, zu schlingen, aber ihre Blumen pflegte sie nicht, sie wuchsen wie in einer Wildnis über die Gänge hinaus und flochten ihre langen Stiele und Blätter in die Zweige der Bäume, so daß es dort ganz dunkel war.

Zuletzt konnte sie es nicht länger aushalten und sagte es einer von ihren Schwestern, und so bekamen es schnell all die anderen zu wissen, aber nicht mehr als sie und noch ein paar Seejungfern, die es niemand weitersagten, als ihren allernächsten Freundinnen. Eine von diesen wußte, wer der Prinz war, sie hatte auch das Fest auf dem Schiffe gesehen und wußte, woher er war und wo sein Königreich lag.

"Komm, Schwesterchen" sagten die anderen Prinzessinnen, und Arm in Arm stiegen sie in einer langen Reihe aus dem Meere empor, dorthin, wo sie des Prinzen Schloß wußten.

Dies war aus einer hellgelb glänzenden Steinart aufgeführt, mit großen Marmortreppen, von denen eine gerade bis zum Meere hinunter führte. Prächtige vergoldete Kuppeln erhoben sich über dem Dache, und zwischen den Säulen, die das ganze Gebäude umkleideten, standen Marmorbilder, die sahen aus, als ob sie Leben hätten. Durch das klare Glas in den hohen Fenstern konnte man in die prächtigsten Gemächer hineinsehen, wo kostbare Seidengardinen und Teppiche hingen und die Wände mit großen Gemälden geschmückt waren, so daß es ein wahres Vergnügen war, alles anzusehen. Mitten in dem größten Saal plätscherte ein großer Springbrunnen, seine Strahlen sprangen hoch auf gegen die Glaskuppel in der Decke, wo hindurch die Sonne auf das Wasser und die herrlichen Pflanzen schien, die in dem großen Marmorbecken wuchsen.

Nun wußte sie, wo er wohnte, und so brachte sie manchen Abend und manche Nacht dort auf dem Wasser zu. Sie schwamm dem Lande weit näher, als es eine der anderen je gewagt hatte, ja sie drang bis weit in den schmalen Kanal unter dem prächtigen Marmoraltan ein, der einen langen Schatten über das Wasser warf. Hier saß sie und sah auf den jungen Prinzen, der sich ganz allein in dem klaren Mondschein glaubte.

An manchem Abend sah sie ihn mit Musik und wehenden Flaggen in seinem prächtigen Boot davonsegeln. Sie lugte zwischen dem grünen Schilfe hervor, und wenn der Wind mit ihrem langen silberweißen Schleier spielte und jemand das sah, dachte er, es sei ein Schwan, der seine Flügel höbe.

Sie hörte in mancher Nacht, wenn die Fischer mit Fackeln auf dem Meer lagen, daß viel Gutes von dem jungen Prinzen berichtet wurde, und da freute sie sich, daß sie ihn gerettet hatte, als er halbtot auf den Wogen trieb, und sie dachte daran, wie fest sein Haupt an ihrer Brust geruht hatte, und wie innig sie ihn da geküßt hatte. Aber er wußte nichts davon und konnte nicht einmal von ihr träumen.

Mehr und mehr kam sie dazu, die Menschen zu lieben, und mehr und mehr wünschte sie, zu ihnen hinaufsteigen zu können, denn die Menschenwelt erschien ihr weit größer als die ihre. Sie konnten zu Schiff über die Meere fliegen, auf die hohen Berge weit über den Wolken steigen, und ihre Länder erstreckten sich mit Wäldern und Feldern weiter, als sie blicken konnte. Da war so vieles, was sie gern wissen wollte, aber die Schwestern konnten ihr auf viele Fragen keine Antwort geben, deshalb fragte sie die alte Großmutter, denn diese kannte die höhere Welt, wie sie sehr richtig die Länder oberhalb des Meeres nannte, recht gut.

"Wenn die Menschen nicht ertrinken," fragte die kleine Seejungfer, "können sie dann ewig leben? Sterben sie nicht, wie wir hier unten im Meere?"

"Ja", sagte die Alte, "sie müssen auch sterben, und ihre Lebenszeit ist sogar noch kürzer als die unsere. Wir können dreihundert Jahre alt werden, aber wenn wir dann aufgehört haben, zu sein, so werden wir in Schaum auf dem Wasser verwandelt und haben nicht einmal ein Grab hier unten zwischen unseren Lieben.

Wir haben keine unsterbliche Seele; wir erhalten nie wieder Leben. Wir sind gleich dem grünen Schilfe, ist es einmal abgeschnitten, so kann es nie wieder grünen. Die Menschen dagegen haben eine Seele, die ewig lebt, die lebt, auch wenn der Körper zu Erde zerfallen ist. Sie steigt auf in der klaren Luft und zu all den schimmernden Sternen empor! Gerade wie wir aus dem Meere auftauchen und die Länder der Menschen sehen, so tauchen sie zu unbekannten, herrlichen Orten empor, die wir niemals erblicken werden."

"Warum bekamen wir keine unsterbliche Seele?" sagte die kleine Seejungfer betrübt, "ich wollte alle meine hundert Jahre, die ich zu leben habe, dafür hingeben, einen Tag ein Mensch zu sein und Teil zu haben an der himmlischen Welt!"

"So etwas mußt du nicht denken!" sagte die Alte, "wir sind viel glücklicher und besser daran, als die Menschen dort oben!"

"Ich muß also sterben und als Schaum auf dem Meere treiben, und darf nicht mehr der Wellen Musik hören, die herrlichen Blumen und die rote Sonne sehen. Kann ich denn gar nichts tun, um eine unsterbliche Seele zu gewinnen?"-

"Nein", sagte die Alte. "Nur wenn ein Mensch dich so lieb gewinnt, daß du für ihn mehr wirst, als Vater und Mutter, wenn er mit allen seinen Gedanken und seiner Liebe an dir hinge und den Priester deine rechte Hand in seine legen ließe mit dem Gelübde der Treue hier und für alle Ewigkeit, dann würde seine Seele in deinen Körper überfließen und du bekämest auch Teil an dem Glücke der Menschen. Er gäbe dir eine Seele und behielte doch die eigene. Aber das kann niemals geschehen! Was hier im Meere gerade als schön gilt, dein Fischschwanz, das finden sie häßlich oben auf der Erde, sie verstehen es eben nicht besser. Man muß dort zwei plumpe Säulen haben, die sie Beine nennen, um schön zu sein!"

Da seufzte die kleine Seejungfer und sah betrübt auf ihren Fischschwanz.

"Laß uns fröhlich sein," sagte die Alte, "hüpfen und springen wollen wir in den dreihundert Jahren, die wir zu leben haben, das ist eine ganz schöne Zeit. Später kann man sich um so sorgenloser in seinem Grabe ausruhen. Heute abend haben wir Hofball!"

Das war eine Pracht, wie man sie auf der Erde nie sehen konnte. Wände und Decke in dem großen Tanzsaal waren aus dickem, aber klarem Glase. Mehrere hundert riesige Muschelschalen, rosenrote und grasgrüne, standen in Reihen an jeder Seite mit einem blau brennenden Feuer, das den ganzen Saal erleuchtete und durch die Wände hinausschien, so daß die See draußen ebenfalls hell erleuchtet war. Man konnte all die unzähligen Fische sehen, große und kleine, die gegen die Glasmauern schwammen. Bei einigen schimmerten die Schuppen purpurrot, bei anderen wie Silber und Gold. Mitten im Saale floß ein breiter Strom, und auf diesem tanzten die Meermänner und Meerweiblein zu ihrem eigenen herrlichen Gesang. So süßklingende Stimmen gibt es bei den Menschen auf der Erde nicht. Die kleine Seejungfer sang am schönsten von allen, und alle klatschten ihr zu, und einen Augenblick lang fühlte sie Freude im Herzen, denn sie wußte, daß sie die schönste Stimme von allen im Wasser und auf der Erde hatte! Aber bald dachte sie doch wieder an die Welt über sich; sie konnte den schönen Prinzen nicht vergessen und auch nicht ihren Kummer darüber, daß sie nicht, wie er, eine unsterbliche Seele besaß.

Deshalb schlich sie sich aus ihres Vaters Schloß, und während alle drinnen sich bei Gesang und Fröhlichkeit vergnügten, saß sie betrübt in ihrem kleinen Garten. Da hörte sie das Waldhorn durch das Wasser hinunter erklingen, und sie dachte: "Nun fährt er gewiß dort oben, er, den ich lieber habe, als Vater und Mutter, er, an dem meine Gedanken hängen und in dessen Hand ich meines Lebens Glück legen möchte. Alles will ich wagen um ihn und um eine unsterbliche Seele zu gewinnen! Während meine Schwestern dort drinnen in meines Vaters Schloß tanzen, will ich zur Meerhexe gehen, vor der ich mich immer so gefürchtet habe. Aber sie kann vielleicht raten und helfen!"

Nun ging die kleine Seejungfer aus ihrem Garten hinaus zu dem brausenden Malstrom, hinter dem die Hexe wohnte. Diesen Weg war sie nie zuvor gegangen, da wuchsen keine Blumen, kein Seegras, nur der nackte graue Sandboden streckte sich gegen den Malstrom, wo das Wasser wie brausende Mühlenräder im Kreise wirbelte und alles, was es erfaßte, mit sich in die Tiefe riß. Mitten zwischen diesen zermalmenden Wirbeln mußte sie dahingehen, um in das Reich der Meerhexe zu gelangen. Dann gab es eine ganze Strecke keinen anderen Weg, als über heißsprudelnden Schlamm, den die Hexe ihr Torfmoor nannte. Dahinter lag ihr Haus mitten in einem seltsamen Walde. Alle Bäume und Büsche waren Polypen, halb Tier, halb Pflanze, sie sahen aus, wie hundertköpfige Schlangen, die aus der Erde wuchsen; alle Zweige waren lange schleimige Arme mit Fingern wie geschmeidige Würmer, und Glied für Glied bewegten sie sich von der Wurzel bis zur äußersten Spitze. Alles was in ihre Greifnähe kam im Meer, umschnürten sie fest und ließen es nicht wieder los. Die kleine Seejungfer blieb ganz erschrocken draußen stehen, ihr Herz klopfte vor Angst, fast wäre sie wieder umgekehrt, aber da dachte sie an den Prinzen und an die Menschenseele, und das machte ihr Mut. Ihr langes, wehendes Haar band sie fest um den Kopf, so daß die Polypen sie nicht daran ergreifen könnten, beide Hände legte sie über der Brust zusammen und schoß von dannen, schnell wie nur ein Fisch durchs Wasser schießen kann, mitten hinein zwischen die häßlichen Polypen, die ihre geschmeidigen Arme und Finger nach ihr ausstreckten. Sie sah, wie jeder von ihnen etwas, was er aufgegriffen hatte mit hundert kleinen Armen festhielt wie mit starken Eisenbanden. Menschen, die in der See umgekommen waren und tief heruntergesunken waren, sahen als weiße Gerippe aus dem Armen der Polypen hervor. Steuerruder und Kisten hielten sie fest, Skelette von Landtieren und eine kleine Meerjungfer, die sie gefangen und erstickt hatten, - das erschien ihr fast als das Schrecklichtse.

Nun gelangte sie an einen großen, mit Schleim bedeckten Platz im Walde, wo große, fette Wasserschlangen sich wälzten und ihre häßlichen, weißgelben Bäuche zeigten. Mitten auf dem Platze war ein Haus errichtet aus ertrunkener Menschen weißen Gebeinen. Da saß die Meerhexe und ließ eine Kröte von ihrem Munde essen, gerade wie Menschen einen kleinen Kanarienvogel Zucker picken lassen. Die häßlichen, fetten Wasserschlangen nannte sie ihre kleinen Küchlein und ließ sie sich auf ihrer großen, schwammigen Brust wälzen.

"Ich weiß schon, was du willst!" sagte die Meerhexe, "das ist zwar dumm von dir, aber du sollst trotzdem deinen Willen haben, denn er wird dich ins Unglück stürzen, meine schöne Prinzessin. Du willst gern deinen Fischschwanz los sein und dafür zwei Stümpfe haben, um darauf zu gehen, ebenso wie die Menschen, damit der junge Prinz sich in dich verlieben soll und du ihn und eine unsterbliche Seele bekommen kannst!" Gleichzeitig lachte die Hexe so laut und scheußlich, daß die Kröte und die Schlangen zur Erde fielen und sich dort wälzten. "Du kommst gerade zur rechten Zeit" sagte die Hexe, "morgen, wenn die Sonne aufgeht, könnte ich dir nicht mehr helfen, bevor wieder ein Jahr um wäre. Ich will dir einen Trunk bereiten, mit dem sollst du, bevor die Sonne aufgeht, ans Land schwimmen, dich ans Ufer setzen und ihn trinken, dann verschwindet dein Schwanz und schrumpft zusammen zu dem, was die Menschen hübsche Beine nennen, aber es tut weh, es wird sein als ob ein scharfes Schwert durch dich hindurch ginge. Alle, die dich sehen, werden sagen, du seiest das liebreizendste Menschenkind, das sie je gesehen hätten! Du behältst deinen schwebenden Gang, keine Tänzerin wird schweben können, wie du, aber jeder Schritt, den du tust, wird sein, als ob du auf scharfe Messer trätest, so daß dein Blut fließen muß. Willst du alles dies erleiden, so werde ich dir helfen!"

"Ja!" sagte die kleine Seejungfer mit bebender Stimme und dachte an den Prinzen und die unsterbliche Seele.

"Bedenke aber", sagte die Hexe, "hast du erst menschliche Gestalt bekommen, so kannst du nie wieder eine Seejungfer werden! Niemals wieder kannst du durch das Wasser zu deinen Schwestern niedersteigen und zu deines Vaters Schloß. Und wenn du die Liebe des Prinzen nicht eringst, so daß er um deinetwillen Vater und Mutter vergißt, mit allen seinen Gedanken nur an dir hängt und den Priester eure Hände ineinander legen läßt, so daß Ihr Mann und Frau werdet, so bekommst du keine unsterbliche Seele! Am ersten Morgen, nachdem er sich mit einer anderen vermählt hat, muß dein Herz brechen, und du wirst zu Schaum auf dem Wasser."

"Ich will es!" sagte die kleine Seejungfer und war bleich wie der Tod.

"Aber mich mußt du auch bezahlen!" sagte die Hexe, "und es ist nicht wenig, was ich verlange. Du hast die herrlichste Stimme von allen hier unten auf dem Meeresgrunde, damit willst du ihn bezaubern, hast du dir wohl gedacht, aber die Stimme mußt du mir geben. Das beste, was du besitzest, will ich für meinen kostbaren Trank haben! Ich muß ja mein eigenes Blut für dich darein mischen, damit der Trank scharf werde, wie ein zweischneidiges Schwert!"

"Aber wenn du mir meine Stimme nimmst," sagte die kleine Seejungfer, "was behalte ich dann übrig?"

"Deine schöne Gestalt," sagte die Hexe, "Deinen schwebenden Gang und deine sprechenden Augen, damit kannst du schon ein Menschenherz betören. Na, hast du den Mut schon verloren? Streck deine kleine Zunge hervor, dann schneide ich sie ab, zur Bezahlung, und du bekommst dafür den kräftigen Trank!"

"Es geschehe!" sagte die kleine Seejungfer, und die Hexe setzte ihren Kessel auf, um den Zaubertrank zu kochen. "Reinlichkeit ist ein gutes Ding!" sagte sie und scheuerte den Kessel mit Schlangen ab, die sie zu einem Knoten band. Nun ritzte sie sich selbst in die Brust und ließ ihr schwarzes Blut hineintropfen. Der Dampf nahm die seltsamsten Gestalten an, so daß einem angst und bange wurde. Jeden Augenblick tat die Hexe neue Sachen in den Kessel, und als es recht kochte, war es, als ob ein Krokodil weint. Zuletzt war der Trank fertig, er sah aus, wie das klarste Wasser.

"Da hast du ihn!" sagte die Hexe und schnitt der kleinen Seejungfer die Zunge ab. Nun war sie stumm und konnte weder singen noch sprechen.

"Sobald du von den Polypen ergriffen wirst, wenn du durch meinen Wald zurück gehst," sagte die Hexe, "so wirf nur einen einzigen Tropfen von diesem Trank auf sie, dann springen ihre Arme und Finger in tausend Stücke!" Aber das brauchte die kleine Seejungfer gar nicht. Die Polypen zogen sich erschreckt vor ihr zurück, als sie den leuchtenden Trank sahen, der in ihrer Hand glänzte, gerade als ob sie einen funkelnden Stern hielte. So kam sie bald durch den Wald, das Moor und den brausenden Malstrom.

Sie konnte ihres Vaters Schloß sehen; die Lichter in dem großen Tanzsaal waren gelöscht, sie schliefen gewiß alle darinnen, aber sie wagte doch nicht noch einmal hinzugehen, nun sie stumm geworden war und sie auf immer verlassen wollte. Es war, als ob ihr Herz vor Kummer zerspringen wollte. Sie schlich sich in den Garten, nahm eine Blume von jeder Schwester Beet, warf tausend Kußhände zum Schlosse hin und stieg durch die dunkelblaue See empor.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sie des Prinzen Schloß erblickte und die prächtige Marmortreppe emporstieg. Der Mond schien wundersam klar. Die kleine Seejungfer trank den brennend scharfen Trank und es war ihr, als ob ein zweischneidiges Schwert durch ihre feinen Glieder ging. Sie wurde darüber ohnmächtig und lag wie tot da. Als die Sonne über die See schien, erwachte sie und fühlte einen schneidenden Schmerz, aber gerade vor ihr stand der schöne, junge Prinz. Er heftete seine kohlschwarzen Augen auf sie, so daß sie die ihren niederschlug, und nun sah sie, daß ihr Fischschwanz fort war und sie die niedlichsten kleinen, weißen Füßchen hatte, die nur ein Mädchen haben kann. Aber sie war ganz nackend, darum hüllte sie sich in ihr langes, dichtes Haar. Der Prinz fragte, wer sie wäre und wie sie hierhergekommen sei, und sie sah ihn mild aber doch so traurig mit ihren dunkelblauen Augen an; sprechen konnte sie ja nicht. Da nahm er sie bei der Hand und führte sie in das Schloß. Jeder Schritt, den sie tat, war, wie die Hexe es ihr vorausgesagt hatte, als ob sie auf spitzige Nadeln und scharfe Messer träte, aber das erduldete sie gerne; an des Prinzen Hand stieg sie so leicht wie eine Seifenblase empor, und er und alle Anderen verwunderten sich über ihren anmutig dahinschwebenden Gang.

Mit köstlichen Kleidern aus Seide und Musselin wurde sie nun bekleidet. Sie war die Schönste im Schlosse, aber sie war stumm, konnte weder singen noch sprechen. Wunderschöne Sklavinnen, gekleidet in Seide und Gold, traten hervor und sangen vor dem Prinzen und seinen königlichen Eltern. Eine von ihnen sang schöner als die anderen, und der Prinz klatschte in die Hände und lächelte ihr zu. Da ward die kleine Seejungfer traurig, sie wußte, daß sie selbst weit schöner gesungen hatte! und sie dachte, o, wüßte er nur, daß ich, um in seiner Nähe zu sein, meine Stimme für alle Ewigkeit hingegeben habe!"

Nun tanzten die Sklavinnen lieblich schwebende Tänze zu der herrlichsten Musik. Da hob die kleine Seejungfer ihre schönen, weißen Arme, erhob sich auf den Zehenspitzen und schwebte über den Boden hin, und sie tanzte, wie noch keine getanzt hatte. Bei jeder Bewegung offenbarte sich ihre Schönheit anmutiger, und ihre Augen sprachen tiefer zum Herzen, als der Gesang der Sklavinnen.

Alle waren entzückt, besonders aber der Prinz, der sie sein kleines Findelkind nannte, und sie tanzte fort und fort, ob auch bei jedem Male, wenn ihr Fuß die Erde berührte, sie einen Schmerz fühlte, als ob sie auf scharfe Messer träte. Der Prinz sagte, daß sie immer bei ihm bleiben müsse, und sie bekam die Erlaubnis, vor seiner Tür auf einem samtenen Kissen zu schlafen.

Er ließ ihr eine Knabentracht nähen, damit sie ihm auch zu Pferde folgen könne. Sie ritten durch die duftenden Wälder, wo die Zweige an ihre Schultern schlugen und die kleinen Vögel unter den frischen Blättern sangen. Sie kletterte mit dem Prinzen die hohen Berge hinauf, und obgleich ihre feinen Füße bluteten, daß selbst die anderen es sahen, lachte sie dessen und folgte ihm doch, bis sie die Wolken unter sich dahinsegeln sahen, wie einen Schwarm Vögel, der nach fremden Ländern zog.

Daheim auf des Prinzen Schloß, wenn nachts die anderen schliefen, ging sie die breite Marmortreppe hinab; es kühlte ihre brennenden Füße, im kalten Meereswasser zu stehen, und dann dachte sie derer unten in der Tiefe.

Eines Nachts kamen ihre Schwestern Arm in Arm, sie sangen so traurig, während sie über das Wasser dahinschwammen, und sie winkte ihnen zu, und sie erkannten sie und erzählten, wie traurig sie alle um sie seien. Sie besuchten sie von nun an jede Nacht. Und in einer Nacht sah sie weit draußen die alte Grobmutter die seit vielen Jahren nicht mehr über dem Wasser gewesen war, und den Meerkönig mit seiner Krone auf dem Haupte. Sie streckten die Arme nach ihr aus, aber wagten sich nicht so nahe ans Land, wie die Schwestern.

Tag für Tag wurde sie dem Prinzen lieber, er hatte sie lieb, wie man ein gutes und liebes Kind gern hat, aber sie zu seiner Königin zu machen, kam ihm nicht in den Sinn. Und sie mußte doch seine Frau werden, sonst erhielt sie keine unsterbliche Seele und mußte an seinem Hochzeitsmorgen zu Schaum vergehen.

"Hast du mich nicht am liebsten von allen?" schienen der kleinen Seejungfer Augen zu fragen, wenn er sie in seine Arme nahm und sie auf die schöne Stirn küßte.

"Ja, du bist mir die Liebste," sagte der Prinz, "denn du hast das beste Herz von allen, du bist mir am meisten ergeben, und du gleichst einem jungen Mädchen, das ich einmal sah aber gewiß nie wieder finden werde. Ich war auf einem Schiffe, das unterging. Die Wogen trieben mich bei einem heiligen Tempel an das Land, wo mehrere junge Mädchen die Tempeldienste verrichteten. Die Jüngste fand mich am Meeresufer und rettete mir das Leben. Ich sah sie nur zwei Mal. Sie ist die einzige in dieser Welt, die ich lieben könnte, aber du gleichst ihr, du verdrängst fast ihr Bild in meiner Seele. Sie gehört dem heiligen Tempel an, und deshalb hat mein Glücksengel dich mir gesendet. Nie wollen wir uns trennen!" - "Ach, er weiß nicht, daß ich sein Leben gerettet habe!" dachte die kleine Seejungfer, "ich trug ihn über das Meer zu dem Walde, wo der Tempel stand; ich saß hinter dem Schaum und paßte auf, ob Menschen kommen würden; ich sah das schöne Mädchen, das er mehr liebt, als mich!" Und die Seejungfer seufzte tief, denn weinen konnte sie nicht. "Das Mädchen gehört dem heiligen Tempel an, hat er gesagt; sie kommt nie in die Welt hinaus, sie begegnen einander nicht mehr; ich bin bei ihm, sehe ihn jeden Tag. Ich will ihn pflegen, ihn lieben, ihm mein Leben opfern!"

Aber nun sollte der Prinz sich verheiraten mit des Nachbarkönigs schöner Tochter, erzählte man. Deshalb rüstete er auch ein so prächtiges Schiff aus. Der Prinz reist, um des Nachbarkönigs Länder kennen zu lernen, hieß es allerdings, aber es geschah im Grunde genommen, um des Nachbarkönigs Tochter kennen zu lernen. Ein großes Gefolge sollte ihn begleiten. Aber die kleine Seejungfer schüttelte das Haupt und lächelte. Sie kannte die Gedanken des Prinzen weit besser, als alle anderen. "Ich soll reisen!" hatte er ihr gesagt, "ich soll die schöne Prinzessin sehen, meine Eltern verlangen das. Aber zwingen wollen sie mich nicht, sie als meine Braut heimzuführen. Ich kann sie ja nicht lieben! Sie gleicht nicht dem schönen Mädchen im Tempel, der du gleich siehst. Sollte ich einmal eine Braut wählen, so würdest eher du es werden, du, mein stummes Findelkind mit den sprechenden Augen!" und er küßte ihren roten Mund, spielte mit ihren langen Haaren und legte sein Haupt an ihr Herz, das von Menschenglück und einer unsterblichen Seele träumte.

"Du hast doch keine Furcht vor dem Meere, mein stummes Kind!" sagte er, als sie auf dem prächtigen Schiffe standen, das ihn in des Nachbarkönigs Land führen sollte. Und er erzählte ihr von Sturm und Windstille, von seltsamen Fischen in der Tiefe, und was der Taucher dort gesehen hatte. Sie lächelte bei seiner Erzählung, sie wußte ja besser als nur irgend ein Mensch im Meere bescheid.

In der mondklaren Nacht, als alle schliefen außer dem Steuermann, der am Ruder saß, saß sie an der Brüstung des Schiffes und starrte durch das klare Wasser hinab, und sie vermeinte, ihres Vaters Schloß zu sehen. Oben darauf stand ihre alte Großmutter mit der Silberkrone auf dem Haupte und starrte durch die wilde Strömung zu des Schiffes Kiel hinauf. Da kamen ihre Schwestern über das Wasser empor, und sie schauten sie traurig an und rangen ihre weißen Hände. Sie winkte ihnen zu, lächelte und wollte erzählen, daß sie glücklich sei und es ihr gut gehe, aber der Schiffsjunge näherte sich ihr, und die Schwestern tauchten hinab, so daß er glaubte, das Weiße, das er gesehen, sei Meeresschaum.

Am nächsten Morgen fuhr das Schiff in den Hafen bei des Nachbarkönigs prächtiger Stadt ein. Alle Kirchenglocken erklangen, und von den hohen Türmen wurden die Posaunen geblasen, während die Soldaten mit wehenden Fahnen und blinkenden Bajonetten dastanden. Jeder Tag brachte ein neues Fest. Bälle und Gesellschaften folgten einander, aber die Prinzessin war nicht da. Sie war weit entfernt von hier in einem heiligen Tempel erzogen worden, sagte man. Dort lehre man sie alle königlichen Tugenden. Endlich traf sie ein.

Die kleine Seejungfer stand begierig, ihre Schönheit zu sehen, und sie mußte anerkennen, eine lieblichere Erscheinung hat sie nie gesehen. Die Haut war so fein und zart, und hinter den langen schwarzen Wimpern lächelte ein Paar dunkelblauer, treuer Augen.

"Du bist es!" sagte der Prinz, "Du, die mich rettete, als ich wie tot an der Küste lag!" und er schloß die errötende Braut in seine Arme. "O, ich bin allzu glücklich!" sagte er zu der kleinen Seejungfer. "Das allerhöchste, auf was ich nie zu hoffen wagte, ist mir in Erfüllung gegangen. Du wirst dich mit mir über mein Glück freuen, denn du meinst es von allen am besten mit mir!" Und die kleine Seejungfer küßte seine Hand, und sie fühlte fast ihr Herz brechen. Sein Hochzeitsmorgen sollte ihr ja den Tod bringen und sie zu Meeresschaum verwandeln.

Alle Kirchenglocken läuteten, Herolde ritten in den Straßen umher und verkündeten die Verlobung. Auf allen Altaren brannten duftende Öle in kostbaren Silberlampen. Die Priester schwangen die Räucherfässer, und Braut und Bräutigam reichten einander die Hand und nahmen den Segen des Bischofs entgegen. Die kleine Seejungfer stand in Gold und Seide gekleidet und hielt die Schleppe der Braut, aber ihre Ohren hörten nichts von der festlichen Musik, ihre Augen sahen nicht die heilige Zeremonie. Sie dachte an ihre Todesnacht und an alles, was sie in dieser Welt verlor.

Noch am selben Abend gingen Braut und Bräutigam an Bord des Schiffes. Die Kanonen donnerten, alle Flaggen wehten, und inmitten des Schiffes war ein königliches Zelt aus Gold und Purpur mit herrlichen Kissen errichtet. Dort sollte das Brautpaar in der kühlen, stillen Nacht schlafen.

Die Segel bauschten sich im Winde, und das Schiff glitt leicht und ohne große Bewegung über die klare See.

Als es dunkelte, wurden bunte Lampen entzündet, und die Seeleute tanzten lustige Tänze auf dem Deck. Die kleine Seejungfer mußte des ersten Abends gedenken, da sie aus dem Meere auftauchte und dieselbe Pracht und Freude mit angesehen hatte. Und sie wirbelte mit im Tanze, schwebte, wie die Schwalbe schwebt, wenn sie verfolgt wird, und alle jubelten ihr Bewunderung zu, denn noch nie hatte sie so wundersam getanzt; es schnitt wie mit scharfen Messern in ihre zarten Füße, aber sie fühlte es nicht, denn weit mehr schmerzte ihr Herz. Sie wußte, an diesem Abend sah sie ihn zum letzten Male, ihn, um dessen willen sie die Heimat verlassen hatte, für den sie ihre herrliche Stimme hingegeben hatte, und für den sie täglich unendliche Qualen erlitten hatte, ohne daß er es auch nur ahnte. Es war die letzte Nacht, daß sie dieselbe Luft mit ihm atmete, das tiefe Meer und den blauen Sternenhimmel erblickte. Ewige Nacht ohne Gedanken und Träume wartete ihrer, die eine Seele nicht hatte und sie nimmermehr gewinnen konnte. Und ringsum war Lust und Fröhlichkeit auf dem Schiffe bis weit über Mitternacht hinaus. Sie lächelte und tanzte mit Todesgedanken im Herzen. Der Prinz küßte seine schöne Braut, und sie spielte mit seinem schwarzen Haar, und Arm in Arm gingen sie zur Ruhe in das prächtige Zelt.

Es wurde ruhig und still auf dem Schiffe, nur der Steuermann stand am Ruder. Die kleine Seejungfer legte ihre weißen Arme auf die Schiffsbrüstung und sah nach Osten der Morgenröte entgegen. Der erste Sonnenstrahl, wußte sie, würde sie töten. Da sah sie ihre Schwestern aus dem Meere aufsteigen, sie waren bleich wie sie selbst; ihre langen schönen Haare wehten nicht mehr im Winde. Sie waren abgeschnitten.

"Wir haben sie der Hexe gegeben, damit sie dir Hilfe bringen sollte und du nicht in dieser Nacht sterben mußt! Sie hat uns ein Messer gegeben. Hier ist es! Siehst du, wie scharf es ist? Bevor die Sonne aufgeht, mußt du es dem Prinzen ins Herz stoßen, und wenn sein warmes Blut über deine Füße spritzt, wachsen sie zu einem Fischschwanz zusammen und du wirst wieder eine Seejungfer, kannst zu uns ins Wasser herniedersteigen und noch dreihundert Jahre leben, ehe du zu totem, kaltem Meeresschaum wirst. Beeile dich! Er oder du mußt sterben, bevor die Sonne aufgeht. Unsere alte Großmutter trauert so sehr, daß ihr weißes Haar abgefallen ist, wie das unsere von der Schere der Hexe. Töte den Prinzen und komm zurück! Beeile dich! Siehst du den roten Streifen am Himmel. In wenigen Minuten steigt die Sonne empor, und dann mußt du sterben!" und sie stießen einen tiefen Seufzer aus und versanken in den Wogen.

Die kleine Seejungfer zog den purpurnen Teppich vor dem Zelte fort, und sie sah die schöne Braut, ihr Haupt an der Brust des Prinzen gebettet, ruhen. Da beugte sie sich nieder, küßte ihn auf seine schöne Stirn, sah zum Himmel auf, wo die Morgenröte mehr und mehr aufleuchtete, sah auf das scharfe Messer und heftete die Augen wieder auf den Prinzen, der im Traume den Namen seiner Braut flüsterte. Sie nur lebte in seinen Gedanken, und das Messer zitterte in der Hand der Seejungfer, - dann aber schleuderte sie es weit hinaus in die Wogen. Sie glänzten rot, und wo es hinfiel, sah es aus, als ob Blutstropfen aus dem Wasser aufquollen. Noch einmal sah sie mit halbgebrochenem Auge auf den Prinzen, dann stürzte sie sich vom Schiffe ins Meer hinab und fühlte, wie ihre Glieder sich in Schaum auflösten.

Nun stieg die Sonne aus dem Meere empor. Ihre Strahlen fielen so mild und warm auf den todeskalten Meeresschaum, und die kleine Seejungfer fühlte den Tod nicht. Sie sah die klare Sonne, und über ihr schwebten hunderte von herrlichen, durchsichtigen Geschöpfen. Durch sie hindurch konnte sie des Schiffes weiße Segel sehen und des Himmels rote Wolken, ihre Stimmen waren wie Musik, aber so geisterhaft, daß kein menschliches Ohr sie vernehmen konnte, ebenso wie kein menschliches Auge sie wahrnehmen konnte. Ohne Flügel schwebten sie durch ihre eigene Leichtigkeit in der Luft dahin. Die kleine Seejungfer sah, daß sie einen Körper hatte, wie diese Wesen, der sich mehr und mehr aus dem Schaume erhob.

"Zu wem komme ich?" fragte sie, und ihre Stimme klang wie die der anderen Wesen, so geisterhaft zart, daß keine irdische Musik es wiederzugeben vermag.

"Zu den Töchtern der Luft!" antworteten die anderen. Seejungfrauen haben keine unsterbliche Seele und können nie eine erringen, es sei denn, daß sie die Liebe eines Menschen gewinnen! Von einer fremden Macht hängt ihr ewiges Dasein ab. Die Töchter der Luft haben auch keine unsterbliche Seele, aber sie können sich durch gute Taten selbst eine schaffen. Wir fliegen zu den warmen Ländern, wo die schwüle Pestluft die Menschen tötet; dort fächeln wir Kühlung. Wir verbreiten den Duft der Blumen durch die Lüfte und senden Erquickung und Heilung. Wenn wir dreihundert Jahre lang danach gestrebt haben, alles Gute zu tun, was wir vermögen, so erhalten wir eine unsterbliche Seele und nehmen teil an der ewigen Glückseligkeit der Menschen. Du arme, kleine Seejungfer hast von ganzem Herzen dasselbe erstrebt, wie wir. Du hast gelitten und geduldet, hast dich nun zur Welt der Luftigeister erhoben und kannst jetzt selbst durch gute Werke dir eine unsterbliche Seele schaffen nach dreihundert Jahren."

Und die kleine Seejungfer hob ihre durchsichtigen Arme empor zu Gottes Sonne, und zum ersten Male fühlte sie Tränen in ihre Augen steigen.- Auf dem Schiffe erwachte wieder Geräusch und Leben, sie sah den Prinzen mit seiner schönen Braut nach ihr suchen, wehmütig starrten sie in den wogenden Schaum, als ob sie wüßten, daß sie sich in die Wogen gestürzt hatte. Unsichtbar küßte sie die Stirn der Braut, lächelte dem Prinzen zu und stieg dann mit den anderen Kindern der Luft zu der rosenroten Wolke hinauf, die über ihnen dahinsegelte.

"In dreihundert Jahren schweben wir so in Gottes Reich"

"Auch noch frühzeitiger können wir dorthin gelangen!" flüsterte eine der eine der Lufttöchter ihr zu. "Unsichtbar schweben wir in die Häuser der Menschen, wo Kinder sind, und um jeden Tag, an dem wir ein gutes Kind finden, das seinen Eltern Freude macht und ihre Liebe verdient, verkürzt Gott unsere Prüfungszeit. Das Kind weiß nicht, wann wir in die Stube fliegen, und wenn wir vor Freude über ein Kind lächeln, so wird uns ein Jahr von den dreihundert geschenkt. Aber wenn wir ein unartiges und böses Kind sehen, dann müssen wir Tränen des Kummers vergießen, und jede Träne legt unsere Prüfungszeit einen Tag hinzu.




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[Geändert von poet am 14.12.2000 um 00:37 Uhr]
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Poet ist offline  
Alt 14.12.2000, 09:36   #8
Thor Walez
unholy undead
 
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Eine Frage: Scannst du das ein oder tippst du das alles ab?
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Thor Walez ist offline  
Alt 14.12.2000, 09:43   #9
Poet
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Gabber...

...ich denke es ist nicht wichtig wo es herkommt sondern wo es hingeht.
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Alt 14.12.2000, 09:45   #10
Thor Walez
unholy undead
 
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Ich verstehe zwar nicht was du jetzt meinst, aber mach mal ruhig weiter. Ist wirklich nett zu lesen.
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Thor Walez ist offline  
 

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