13.12.2000, 22:42 | #1 |
Member
Registriert seit: 12/2000
Beiträge: 123
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Kennengelernt habe ich sie in der Schule, in der 1. Klasse. Wir waren beide 6 Jahre alt; zwei kleine Mädchen mit langen Zöpfen und bunten Kleidchen.
Im Turnunterricht waren wir beide die letzten beim Umziehen, da sah ich einen Schuh, der bei meinen Sachen stand und dort nicht hingehörte. Und da sonst niemand mehr da war, stellte ich den Schuh zu ihren Kleidern. Sie sah mich aus grossen braunen Augen an: "Das ist nicht meine", sagte sie in ihrem niedlichen italienischen Akzent. Von dem Tag an waren wir Freundinnen. Teilten alles miteinander. Wir gegen den Rest der Welt. Sie war so etwas wie eine Aussenseiterin, da sie Italienerin war, ihre Eltern ausser ihr noch drei andere Kinder hatten und sie deshalb eben nicht immer die saubersten oder modernsten Kleider trug. Mich störte das nicht. Sie war meine Freundin. Sollten die anderen doch reden. Wie oft haben wir so laut gekichert, dass die Lehrer uns auseinander setzen mussten. Wie oft sind wir donnerstags nach Hause gelaufen, um uns schnell die neueste BRAVO anzusehen. Wie oft haben wir Streiche gespielt; dem Jungen, der in der Wohnung unter ihr mit seinen Eltern wohnte, Brotkrümel auf den Lockenkopf geworfen, wenn er auf dem Balkon saß; Platten gescratcht, bist die Nadel kaputt war und dann mit grossen Augen ihre Mutter angesehen, die sich nicht erklären konnte, warum der Plattenspieler schon wieder kaputt war. Unsere ersten Schwärmereien für Jungs, den ersten Liebeskummer gemeinsam erlebt. Und die Liebe zu Italien habe ich auch von ihr. Sie sagte mir einmal auf dem Schulhof, dass das Meer in Italien mindestens zehnmal tiefer sei als das Schulhaus hoch. Ich konnte ihr nicht glauben... . Und dann ging sie. Mit ihren Eltern zurück nach Italien. Sie war gerade 15 Jahre alt. Ich vermisste sie schrecklich, konnte es gar nicht glauben. Sie war ein Sprachtalent, und jetzt schmiss sie einfach die Schule ohne richtigen Abschluss. Wir hielten Briefkontakt, sie machte eine Ausbildung zur Friseuse. Dann kam sie wieder nach Deutschland, um ihre Schwester zu besuchen, die hier mit Mann und Kind lebte. Ich war überrascht, freute mich riesig. Doch sie war enttäuscht von mir. Es gab Missverständnisse, sie behauptete, ich hätte ihre Briefe nicht beantwortet, dabei hatte ich lange schon keine mehr erhalten. Wir trennten uns - mehr oder weniger im Streit. Dann erfuhr ich plötzlich, dass sie einen Unfall hatte: Sie war mit einem Motorroller unterwegs, hatte mit ihrer Freundin herumgealbert und war frontal gegen ein entgegenkommendes Auto geprallt. Da lag sie nun, auf einer schmutzigen Strasse. Meine Freundin, meine beste Freundin. Sie verblutete, weil der Krankenwagen es nicht mehr rechtzeitig schaffte. Wie lange habe ich gedacht, dass alles nur ein Irrtum ist, dass sie lebt, vielleicht inzwischen verheiratet ist. Wie oft habe ich von ihr geträumt, habe geträumt, dass sie einfach noch da ist, weit weg, in Italien... . An einem Donnerstag ist sie gestorben, an einem Montag wollte sie den Frisörsalon eröffnen, den sie sich vorher eingerichtet hatte. Ich bin immer ein ziemlich ängstliches Mädchen gewesen. Wie oft sagte sie zu mir: "Hab´ doch keine Angst... ." Und wenn ich heute mal wieder Angst habe, dann höre ich immer noch ihre Stimme, dann ist sie immer noch da. Aber meine Kindheit ist damals gestorben, damals, in San Nicandro, auf einer staubigen Strasse... . |
13.12.2000, 22:42 | #00 |
Administrator
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Hallo Isabella d`Este, in jeder Antwort auf deinen Beitrag findest du eine Funktion zum Melden bei Verstössen gegen die Forumsregeln.
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13.12.2000, 22:47 | #2 | ||
Junior Member
Registriert seit: 12/2000
Beiträge: 10
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.................
ich habe lange nicht mehr etwas gelesen das mich so berührt hat.
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13.12.2000, 23:23 | #3 | ||
Senior Member
Registriert seit: 10/2000
Beiträge: 639
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Ich kann mich auch noch genau an meine erste beste Freundin erinner! Nur die Freundschaft hat nicht ein so tragisches Ende genommen!
Es tut mir leid,schrecklich leid! Die Erinnerungen werden nicht gehen! Vielleicht schwächer werden,aber nicht gehen!
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14.12.2000, 17:23 | #4 | ||
Member
Themenstarter
Registriert seit: 12/2000
Beiträge: 123
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Es ist schon so lange her...
Hallo Ihr beiden,
vielen Dank für eure Anteilnahme! Sie ist jetzt schon lange tot, aber wenn es draussen dunkel ist, der Winter Einzug hält und die Abende einsam sind, dann denke ich noch oft an sie. Sie lebt in meinem Herzen weiter. Ich würde gerne mal ihr Grab besuchen, hätte gleichzeitig aber auch Angst davorzustehen.
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14.12.2000, 20:31 | #5 | ||
Senior Member
Registriert seit: 10/2000
Beiträge: 639
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Hmmm...der Winter...
Geht mir auch oft so: im Winter wird man an sowas ehr erinnert,als im Sommer z.B.!
Warum fährst du nicht mal an ihr Grab? Vielleicht hilf es dir! Wünsch dir viel Glück...! Liebe Grüße No.11
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14.12.2000, 22:06 | #6 | ||
Member
Registriert seit: 11/2000
Beiträge: 95
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Hallo.
Hallo.
Du sprichst so schön von Deiner verstorbenen Freundin. Und ich habe nicht mal eine. Wie bin ich neidisch auf Eure schönsten Stunden miteinander. Sie wird immer in Deinem Herzen bleiben und deshalb nie ganz sterben. Mein Vorschlag wäre auch: Fahr einfach an ihr Grab. Setz Dich zu ihr und höre auf die Laute im Wind.
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18.12.2000, 20:04 | #7 | ||
Member
Themenstarter
Registriert seit: 12/2000
Beiträge: 123
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Hallo Ihr!
Irgendwie hätte ich wirklich Angst davor, Ihr Grab zu sehen. Es zum ersten Mal in meinem Leben zu sehen. So ist sie immer noch da, in meinen Gedanken, in meinem Herzen. Ich glaube, es wäre sehr schmerzvoll für mich, sie in einem kalten Grab zu wissen. Ausserdem habe ich momentan keine Hand, die mich auf dem Friedhof halten könnte, keinen Menschen, der meinen Schmerz auffangen würde. Und deshalb wage ich es nicht hinzufahren. Aber jede Kerze, die ich in einer Kirche anzünde, ist für sie bestimmt. Das ist seit ihrem Tod so und wird wohl auch für immer so bleiben.
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09.01.2003, 01:55 | #8 | ||
Forumsgast
Beiträge: n/a
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sie IST noch da...
... und zwar in deiner Erinnerung! DA wird sie dich NIE verlassen...
Und wer weiss; vielleicht seht ihr euch eines Tages wieder. Irgendwo!! Alles gute und mach dir nicht zuu viel gedanken. Die Welt ist zwar schlecht, aber das Gute gibt es dennoch wirklich!!!
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09.01.2003, 11:36 | #9 | ||
Special Member
Registriert seit: 09/2000
Beiträge: 5.082
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Ach, Isabella...ich drück dich mal.
Das, was du schreibst, ist so schön, obwohl es traurig ist.
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09.01.2003, 11:47 | #10 | ||
Member
Registriert seit: 12/2002
Beiträge: 310
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Ich würde dir abraten
ihr Grab zu besuchen. Klingt jetzt vielleicht selten doof, aber ich habe den Eindruck Du bist noch nicht soweit. (ich weiß wovon ich spreche, ich hab lange gebraucht um das Grab meines Bruders besuchen zu können, aber in dem Moment hab ich erst wirklich realisiert was es bedeutet, und das kann sehr schmerzvoll sein.) Behalte sie in Deinem Herzen, so wie Du es jetzt tust, und eines Tages wenn Du so weit bist, hast Du bestimmt auch den Mut hin zu fahren, es wird vielleicht nicht einfacher sein, als wenn du jetzt fahren würdest, aber vielleicht, ist die Folgewirkung erträglicher, bzw. dann weißt Du vielleicht eher damit umzugehen. Ich weiß wie dämlich sich das anhört, es ist auch schwer zu beschreiben, aber vielleicht verstehst Du was ich meine.
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