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Alt 26.05.2003, 15:08   #71
Dave Bowman
Euer Liebden
 
Registriert seit: 05/2001
Ort: München
Beiträge: 14.550
Jessas, Diabolus - das war eine lange Antwort. ich will versuchen, die meine knapp zu halten, auch wenn es mir wahrscheinlich nicht gelingen wird.

Ich halte es für problematisch, 13 Jahre Marktwirtschaft mit 40 Jahren Misswirtschaft gleichzusetzen, will sagen, die in sehr, sehr vielen Bereichen immer noch herrschenden schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in Ostdeutschland auf beide Systeme gleichermassen zu verteilen. Denn - du hast es ja richtigerweise selbst gesagt - der Staatsbankrott der DDR stand im Herbst 1989 unmittelbar bevor. Das ist übrigens ein Umstand, den ich in ähnlichen Diskussionen schon ein paar Mal erwähnte. Dazu muss man sich vor Augen halten, was Staatsbankrott eigentlich bedeutet: Zusammenbruch aller staatlich gelenkten Systeme und was war in der DDR nicht staatlich gelenkt? Nur sofortige Milliardenspritzen der damaligen Bundesregierung an das alte SED-Regime verhinderten im Winter 1989/’90 diesen Zusammenbruch. Welches System sollte das Problem der Abrbeitslosigkeit lösen können, wenn nicht das vorhandene, das, wie alle Systeme, IMMER verbessert werden kann.

Die Knospe, die du nicht siehst, ist, dass es überhaupt wieder ein flexibles Wirtschaftssystem gibt, eines mit zugegeben immer noch enorm hoher Arbeitslosigkeit. Was aber darf man sich vorstellen, gäbe es dieses System nicht? Und musst du nicht zugeben, dass zum Beispiel die Infrastruktur, die ja nun wirklich unverzichtbar ist, will man überhaupt etwas bewegen, eine ganz andere ist, als im Jahre ‘89?

Übrigens sollten wir nicht vergessen, dass du ebenso mit den klassischen Ossi-Klischees vom Weste aufwartest: die fiese Marktwirtschaft mit ihren gierigen, völlig überbezahlten Managern, die nur den schnellen Profit im Sinn haben und ansonsten jede Art von Sozialleistung ablehnen und sofort nach Taiwan oder Polen abhauen, wenn die Gewerkschaften selbstverständlich immer nur vollkommen gerechtfertigte Forderungen stellen… Das mit den Gewerkschaften habe ich hinzugefügt. Ich sage das nur, weil im LT ja hypersensibel reagiert wird, wenn man jemandes Gedanken weiterführt. Aber an der Jobmisere sind nicht die Unternehmer alleine schuld. Es ist doch unstrittig, dass sehr viele Faktoren dabei ineinandergreifen. Sicher – auch die innovative Tatenlosigkeit, die sich in Deutschland immer mehr breitgemacht hat und deren Überwindung so eminent wichtig wäre, trägt ihren Teil dazu bei! Und welchen Sinn hat es, die Arbeitslosigkeit in den marktwirtschaftlichen Gesellschaften anzuprangern, wenn man doch ganz genau weiss, dass die sogenannte Vollbeschäftigung in den ehemaligen sozialistischen Gesellschaften eine teuer erkaufte Subventionsmassnahme war, die am Ende unbezahlbar wurde und an deren Folgen man noch heute trägt? Nein, dieses Argument kann nicht gelten.

Ich habe ja nie bestritten und werde es auch nie, dass die Marktwirtschaft selbstverständlich Platz bietet für Ausbeutung und unverantwortliches Profitstreben. Aber es ist eben nicht die Regel in diesem System, da es sich ja sonst schon längst den eigenen Grund unter den Füssen weggezogen hätte.

Und was hat das nun alles mit dem anhaltenden Erfolg der PDS im Osten zu tun? Ist mir natürlich klar, dass es im Osten Leute mit, wie du so treffend sagtest, „gebrochener Biografie“ gibt. Ebenso sind es jede Menge Altkader, die es mit der PDS halten. Aber die Frage muss doch sein, kann die PDS den Osten wirklich voranbringen? Und voranbringen kann und darf doch nur bedeuten, dass ALLE zumindest die Chance haben müssen, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Und Konsum alleine kann es ja wohl nicht sein. Ein sozialistisches Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, wie die PDS es anstrebt, kann aber diese Aufgabe, nach allen Erfahrungen, die man in den letzten 90 Jahren gemacht hat, nicht erfüllen.

Und da stellt sich wieder die Frage, warum trotzdem noch eine so grosse Anzahl von Bürgern im Osten diese Partei wählt. Die Hoffnung, reich zu werden, die man den Ostdeutschen als Motiv ja so lange unterstellt hat, kann es nicht sein. Die Bürgerbewegungen des Herbsts 1989 standen ja schliesslich nicht unter dem Motto: „Wer wird Millionär?“. Eine Gruppe von Wählern mögen Trotzwähler sein, die als Parteikader in der DDR ein vergleichsweise bevorzugtes Leben führten, oder an den Sozialismus glauben, andere sind sicher klassische Protestwähler, deren Absicht es ist, die grossen Volksparteien anzuspornen. Wiederum andere sehnen sich – und davon bringst du mich nicht ab – nach der ordnenden öffentlichen Hand, die alles für einen richtet und plant.

Übrigens irrst du, wenn du annimmst, ich würde mich vor einer sozialistischen Republik fürchten. Ich glaube nur einfach nicht an den Sozialismus. Er lässt mir nur zuwenig Raum für andersdenkende.
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