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Alt 28.06.2003, 20:27   #1
septembermorgen
Senior Member
 
Registriert seit: 10/2000
Beiträge: 774
Streikabbruch

Der Streikabbruch ist in meinen Augen auch ein Eingeständnis, dass die Gewerkschaften - oder die Leute, die dort arbeiten - total realitätsfern sind. Genau genommen müsste man sagen, dass der Streikabbruch davon zeugt, dass sie doch noch mit Hammerschlägen eines besseren belehrt werden können - der Streik dagegen zeugt davon, dass die Gewerkschaftsführer offenbar die Lage nicht einschätzen können. Phantasielos kleben sie an Forderungen, die der komplexen Wirklichkeit nicht entsprechen. Ich bin total enttäuscht - nicht nur von dieser so offensichtlichen Niederlage, die mich eher freut, weil ich die Forderung für nicht berechtigt hielt, sondern auch davon, wie abgehoben, wie "selbstgenügsam", wie sehr in ihren eigenen Strukturen gefangen, die vorgeblichen Arbeitnehmervertreter sind.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass je irgendein Streik ohne jedes Ergebnis blieb im Sinne eines Kompromisses, der zwischen berechtigten Anliegen gefunden werden konnte. Aber auch nicht an einen Streik, den ich so wenig verstehen konnte, weil er so neben der Sache war - oder so schlecht "verkauft".

Wie seht ihr den Streikabbruch? Ist das die endgültige Niederlage der Gewerkschaften? Zeigt er, dass die wichtige Institution der Gewerkschaft am Ende ist? So sehe ich das jedenfalls - kaputtgemacht von Funktionären, die keinen Bezug mehr zur Wirklichkeit haben, weil sie zu sehr ans Hochkommen in der Gewerkschaftshierarchie denken.

Gibt es noch einen Sinn, eine Zukunft der Gewerkschaften?
septembermorgen ist offline  
Alt 28.06.2003, 20:27 #00
Administrator
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Alt 28.06.2003, 20:36   #2
Moonshiner
Gesperrt wegen Mehrfachanmeldung
 
Registriert seit: 12/2001
Beiträge: 5.448
Mal paar Zahlen:

125000 Beschäftigte gibt es in der sächsichen Metall.- und Elektroindustrie. Davon sind 12000, also gerademal 10% in der IG Metall organisiert. 9000 davon haben bei der Urabstimmung für Streik gestimmt, was die Gewerkschaft dazu veranlasste in den Medien zu verbreiten das 80% der sächsichen Metaller für den Streik seien. Tatsächlich representieren diese 9000 aber gerademal etwa 8%, während 92% gegen oder zumindest nicht für den Streik waren.

Das sagt doch eigentlich schon alles. Keiner braucht hier im Osten die 35 Stundenwoche. Was gebraucht wird sind die Investitionen von BMW, Volkswagen und anderen.

Ich begrüsse das Streikende und hoffe das durch diese hirnrissige ( da einfach zum falschen Zeitpunkt gestartete ) Aktion der IG Metall kein bleibender Flurschaden entstand - Polen und die Tschechei sind nicht weit.
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Moonshiner ist offline  
Alt 28.06.2003, 21:40   #3
MaxPain
Golden Member
 
Registriert seit: 05/2003
Beiträge: 1.009
Ich wäre schon für eine Angleichung gewesen - von 35h auf 38h>

Einen gescheiterten Machtkampf sahen wir ... das Motto war "wir sind noch immer stark". Nachdem sich die Bundesregierung der Realität beugen musste, standen die Gewerkschaften alleine da. Im Prinzip hat es jeder kapiert ... nur nicht die alteingesessenen Betonköpfe. Wie trotzige Kinder...

Hier wurde gezeigt, wie man sich selbst demontieren kann - vollständig.
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MaxPain ist offline  
Alt 29.06.2003, 11:02   #4
Sailcat
lass das!
 
Registriert seit: 01/2001
Beiträge: 35.596
dito.
vor allem wurde klar, daß die gewerkschaften viel zu viel macht besitzen.
der verlierer sind - wie immer - die "kleinen".
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Sailcat ist offline  
Alt 29.06.2003, 14:07   #5
Toktok
night strike specialist
 
Registriert seit: 05/2001
Beiträge: 5.545
Re: Streikabbruch

Zitat:
Original geschrieben von septembermorgen
- der Streik dagegen zeugt davon, dass die Gewerkschaftsführer offenbar die Lage nicht einschätzen können. Phantasielos kleben sie an Forderungen, die der komplexen Wirklichkeit nicht entsprechen.
Wie ich hörte ging es doch lediglich um ein Angleichen der Arbeitszeiten Beschäftigter in der metallverarbeitenden Industrie Ostdeutschlands an die Zeiten, die in Westdeutschland üblich sind.

Was ist daran verkehrt, und was soll dabei nicht "der komplexen Wirklichkeit" entsprechen?

Okay, die Arbeitgebervertreter behaupten ebenso selbstverständlich und -gefällig, dass ein ostdeutscher Metallarbeiter einen um ca. ein Viertel geringeren Mehrwert schafft, als sein Kollege aus dem Westen, wie die Vertretung der IG-Metall von einem nahezu gleichen Mehrwert ausgeht.
Müssen die Arbeitgebervertreter verläßliche Fakten vorweisen, und muss das die IGM? Ich kann mich nicht daran erinnern, und somit bleibt die "komplexe Wirklichkeit" sowohl der Streikgegner, als auch seiner Befürworter im Bereich von Spekulationen.
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Toktok ist offline  
Alt 30.06.2003, 10:57   #6
Dave Bowman
Euer Liebden
 
Registriert seit: 05/2001
Ort: München
Beiträge: 14.550
Spekulativ ist dabei gar nichts, Toktok, sondern real. Die Produktivität ostdeutscher Betriebe in der metallverarbeitenden Industrie ist nun einmal noch immer geringer, als die vergleichbarer Betriebe im Westen des Landes. Für die Beschäftigung von Arbeitnehmern ist dies weiterhin ein unerlässliches Kriterium, an dessen Zahlen ganz sicher niemand herumbastelt. Warum auch?

Wenn die Gewerkschaften den so sehr überstrapazierten Begriff der sozialen Gerechtigkeit mit diesem Streik in Verbindung brachten, so sei gesagt, dass es ganz sicher nicht sozial gerecht war, die vorhandenen Arbeitsplätze durch die unangemessenen Forderungen einer Minderheit (9.000 von 125.000 Beschäftigten) mutwillig zu gefärden.

Im Übrigen frage ich mich, wie es sozial, arbeitstechnisch und moralisch vertretbar war, dass über Wochen (!!!), Gewerkschaftsfredos aus dem Westen es sich vor den Toren der Betriebe in Sachsen mit Bier und Würstchen bequem machen konnten, angeblich, um ihre "Solidarität" mit den geknechteten Arbeitern im Osten zu beweisen. Bedenkt man allerdings, dass der DGB als Dachorganisation der Gewerkschaften zum grössten Teil aus Arbeitslosen und Rentern besteht und nur 16 % (!!!) seiner Mitglieder noch zur arbeitenden Bevölkerung gehören, dann wundert es einen nicht, woher die Leute ihr "Solidaritätspersonal", das sich hauptsächlich darin gefiel, in der Sonne zu sitzen und Arbeitswillige anzupöbeln, hernehmen.
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Dave Bowman ist offline  
Alt 30.06.2003, 19:43   #7
MaxPain
Golden Member
 
Registriert seit: 05/2003
Beiträge: 1.009
Zu meiner komplexen Realität gehören mehr als 35h, egal ob West, Ost oder Südtirol.

Ein Streik, den "keiner" wollte. Ausländische Unternehmen wurden verunsichert und haben sich wieder zurückgezogen. Die Republik bricht sich langsam das Genick und mittendrinnen der taffe Gewerkschaftler, der für Gerechtigkeit sorgt.

Ich hatte auch einmal 35h. Urlaubsgeld. Soziale Leistungen. Danke IGM. Das war nett. Aber Zeiten ändern sich. Menschen ändern sich. Aber die IGM verharrt starr. Statt flexibler Schutz und Interessenvertretung, sieht man sie nur mauern. Kein Schritt zurück, aber auch keiner vor.

35h hätten für mehr Beschäftigung sorgen sollen. Der Plan ging nicht auf, aber unbeschwert wird für weniger Arbeitzeit bei vollem Lohnausgleich gefochten ... in einer Zeit, wo man als Arbeitnehmer 45h> arbeiten würde, damit der Arbeitsplatz gesichert wird.

Bei einem Zulieferer wurden Mitarbeiter, Schlafsäcke, Zahnbürsten und Proviant eingeflogen, damit die Produktion nicht den Bach runtergeht. Ein paar erboste Gewerkschaftsvertreter konnten nicht nachvollziehen, warum sich der größte Teil der dort Beschäftigten *nicht* für den Streik ausgesprochen hat. Aber nichts da, fleißig weiter gestreikt ... obwohl die Firma über Tarif zahlt und mehr Ausbildungsplätze bereitstellen will. Alle happy, bis auf die harten Jungs, welche ihre Schützlinge mit Gewalt glücklich machen wollen und wenn es in einer Prügelei ausartet.

Was soll´s - in DE ist nichts mehr zu retten.
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MaxPain ist offline  
Alt 30.06.2003, 19:56   #8
Toktok
night strike specialist
 
Registriert seit: 05/2001
Beiträge: 5.545
Scheiße alles.

Produktivität Ost und West hin oder her. Die Arbeitgebervertreter behaupten, der gemeine Ossi wäre weniger produktiv; andere Verbände sprechen von viel ähnlicheren Niveaus, und obendrein soll es metallverarbeitende Betriebe im Osten geben, deren Produktivität bereits höher ist als im Westen. Ja, was denn nu'?

Fakt ist: Die allermeisten Deutschen sind schon lange viel zu fleissig, denn während das Bruttoinlandsprodukt in den letzten 25 Jahren um zwei Drittel zugenommen hat, sank das Arbeitsvolumen (gemessen an bezahlter Arbeitszeit pro Beschäftigten) um ein rundes Fünftel.
Kein Wunder also, dass die Einführung der 35-Stunden-Woche nicht zu mehr Beschäftigung führte, wenn man sich derartig selbst überflüssig buckelt.

Und schön blöd ist derjenige, der heute noch allzu bereitwillig auch 45 Stunden buckeln würde.
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Toktok ist offline  
Alt 01.07.2003, 09:05   #9
Dave Bowman
Euer Liebden
 
Registriert seit: 05/2001
Ort: München
Beiträge: 14.550
Grundsätzliches: in meinen Augen ist niemand blöde, der arbeitet, selbst, wenn es pro Woche 45 Stunen sind. Oder noch mehr. Wie um alles in der Welt kann man "zu fleissig" sein?? Ohne selbst davon zu profitieren?

Dass die Produktivität der ostdeutschen metallverarbeitenden Betriebe nach wie vor unter der ihrer westdeutschen Pendants liegt, ist keine Behauptung irgendwelcher obskurer Arbeitgeber, sondern schlicht nach wie vor die Realität und auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel.

Die von den Gewerkschaften Mitte der achtziger Jahre mit teilweise harten Streiks erzwungene Einführung der 35-Stunden-Woche in zahlreichen Betrieben Westdeutschlands, hat, wie jeder vernünftige Mensch vorhersehen konnte, natürlich keine weiteren Arbeitsplätze, sondern nur höhere Kosten und damit weniger Arbeitsplätze geschaffen. Es war sonnenklar, das sich dieses Schauspiel im Osten wiederholen würde. Was wieder einmal zeigt, worum es den Gewerkschaftschefs wirklich geht: Schaden verursachen, Kontrolle, Macht. Was interessieren die Gewerkschaften 5 Millionen Arbeitslose?
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Dave Bowman ist offline  
Alt 01.07.2003, 13:08   #10
Toktok
night strike specialist
 
Registriert seit: 05/2001
Beiträge: 5.545
Zitat:
Original geschrieben von Dave Bowman
Wie um alles in der Welt kann man "zu fleissig" sein?? Ohne selbst davon zu profitieren?
Man schafft immer mehr in immer kürzerer Zeit für immer weniger Geld, bis dies an seine Grenzen stößt - und das muss es irgendwann - und man überflüssig ist.

Zitat:
Dass die Produktivität der ostdeutschen metallverarbeitenden Betriebe nach wie vor unter der ihrer westdeutschen Pendants liegt, ist keine Behauptung irgendwelcher obskurer Arbeitgeber, sondern schlicht nach wie vor die Realität und auch hier bestätigen Ausnahmen die Regel.
Ja, Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ich dachte die sächsische Metall-Gewerkschaft rief zum Streik auf, weil sie diesen vermeintlichen Mehrwert Westdeutscher gegenüber Ostdeutschen in den bestreikten Betrieben, entgegen der Verlautbarungen der Arbeitnehmerseite, nicht mehr erkennen konnte?

Zitat:
Die von den Gewerkschaften Mitte der achtziger Jahre mit teilweise harten Streiks erzwungene Einführung der 35-Stunden-Woche in zahlreichen Betrieben Westdeutschlands, hat, wie jeder vernünftige Mensch vorhersehen konnte, natürlich keine weiteren Arbeitsplätze, sondern nur höhere Kosten und damit weniger Arbeitsplätze geschaffen. Es war sonnenklar, das sich dieses Schauspiel im Osten wiederholen würde. Was wieder einmal zeigt, worum es den Gewerkschaftschefs wirklich geht: Schaden verursachen, Kontrolle, Macht. Was interessieren die Gewerkschaften 5 Millionen Arbeitslose?
Das würde ich so nicht sagen. Vielmehr halte ich die 35-Stunden-Woche für eine der letzten wohlfahrtsstaatlichen Errungenschaften, die seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts mit harten Kämpfen geschaffen und ausgebaut wurden.
Seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zerbröselt dieses Korrektiv der kapitalistischen Marktdynamiken allerdings wieder. Besonders die Banken in den Aufsichtsräten predigen das Projekt der shareholders, denen es nur noch um maximale Renditen geht, und zwar unter dem Deckmantel der endlos beschworenen Notwendigkeit, die Unternehmenskosten zu senken. Hierfür dient "Globalisierung" als Zauberwort, das Fügsamkeit der Arbeitnehmerschaft mit vorgeblichen "Sachzwängen" nahe legt. Diese Vorstellung erhält gesellschaftliche Macht, weil sie Glauben auf sich zieht und ist entscheidende Waffe gegen alle wohlfahrtsstaatlichen Errungenschaften. Indem der hiesigen Arbeiterschaft gesagt wird, sie müsste sich dem Wettbewerb mit den Arbeitern auf der ganzen Welt stellen, wird verkündet, dass man heute seine sozialen Errungenschaften (die 35-Stunden-Woche ist eine davon) zugunsten eines Wachstums aufgeben solle, welches uns morgen zugute kommen wird. (Fast 25 Jahre Entpolitisierung und Deregulierung der Märkte haben diesen Effekt jedoch nicht ausgelöst; im Gegenteil verschlechtert sich die Lage eines immer größeren Teils der Gesellschaftsmitglieder mehr und mehr, ohne dass ein Ende der Fahnenstange in Sicht wäre.)

Ich halte das für einen gravierenden Trugschluss, der auf lange Sicht derartig immense soziale Kosten verursachen wird, dass die Gesellschaft sie nicht mehr tragen kann. Diese Kosten wird man allerdings den Unternehmensgewinnen entgegen setzen müssen.
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Toktok ist offline  
 

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