thomson

Hallo Gemeinde,

ich habe zur Zeit ein Luxusproblem und jammere auf hohem Niveau: Ich bin mit meinem Bachelor in Regenerativen Energien fertiggeworden (Regelstudienzeit, gute Noten, Auslandssemester in China, Ehrenamtliche Tätigkeiten, Werkstudent am Max-Planck-Inst. und vorher am Fraunhofer.....pipapo) und das ziemlich locker flockig....ich habe vor drei einhalb Jahren mit dem Studium begonnen, weil ich nicht so recht wusste was ich tun sollte. Ich war damals beim Bund, hatte ein popeliges Fachabi (womit ich eben nur an FHs studieren konnte) womit ich an eine klassische Uni nicht konnte und auf eine Offizierskarriere hatte ich, nachdem ich den Saftladen kennenlernen durfte, dann keine Lust mehr, obwohl das lange mein sehnlichster Wunsch war. Meine damalige Freundin hat mir dann empfohlen, doch was mit Ingenieurwesen zu studieren. Lustig ist, dass ich zwar fit in diesen Fächern war, aber trotzdem mein Abi vergeigt hab wegen Mathe und Physik....egal, ich habe es mir zugetraut und habe es jetzt durchgezogen. Alle um mich herum sind begeisterte Tüftler und "Nerds", im Laborpraktikum habe ich auch immer die Anderen die Arbeit machen lassen, ich habe lieber aufm Smartphone Kafka gelesen....


O.K., das Problem ist nur, dass MINT mir eigentlich überhaupt keinen Spaß macht und meine Interessen auch ganz woanders liegen: Geschichte, Politik, Fremdsprachen, Kunst und Theater....alles was ich nicht studieren konnte/durfte und oft als "brotlose Kunst" bezeichnet wird. Ich habe während meines Auslandssemesters in China aus Jucks nebenbei als Deutschlehrer gearbeitet und es hat mir so viel Spaß gemacht, den Chinesen bei ihren Lernerfolgen zuzusehen und es war himmlisch, als mir nach dem Unterricht gesagt wurde: "Du bist ein guter Lehrer!!"

Ich bin hin- und hergerissen, da ich jetzt bald mit meinem Masterstudium an der RWTH Aachen beginnen werde und ich überhaupt nicht weiß, wo ich hinwill oder was ich tun möchte. Meine Eltern sind stolz wie bolle auf mich, weil ich Ingenieur werde und relativ gut verdienen werde (ich habe durch das Institut auch ein Jobangebot aus der Schweiz erhalten mit einem Traumgehalt). Meine Eltern sind ehrlich gesagt ziemlich arm und ich helfe mit meinem Geld als Werkstudent jetzt schon finanziell wo ich nur kann. Dementsprechend sind die Erwartungen auch an mich, erst Recht, wenn ich die Ach-So-Renommierte-Elite-Uni RWTH absolvieren werde.....

Es gibt Monate (bestimmt acht Monate am Stück), an denen ich n i c h t s !! für mein Studium getan habe und einfach rumgegammelt und gesoffen habe. Bis ich Mitte Januar gemerkt habe, dass ich nur noch fünf Wochen Zeit habe, meine Bachelorarbeit zu schreiben: Ich habe sie in drei Wochen fertiggestellt und gestern eine 1,3 dafür bekommen. Im Freundeskreis feiern mich alle dafür, ich sage aber immer, dass man mit dem Bachelor am Fischmarkt die Fische damit einwickeln kann und dann fühlen sich sie die Anderen beleidigt. Ich möchte einfach nur etwas machen, was mir Spaß macht, womit ich mich identifizieren kann.

Hat irgendjemand, sofern sie/er so lieb war und bisher gelesen hat, eine Idee, welche Wege ich einschlagen könnte? Kennt das eine/r von Euch?

Was haltet Ihr von der Idee von Albert Camus, der sagte, dass Sisyphos eigentlich der Glücklichste von Allen gewesen sein musste, weil er im Prinzip eine einzige stumpfe Aufgabe hatte? Ich stelle mir oft vor, wie es wäre, wenn ich mich einfach in irgendein Atelier verkrieche oder den ganzen Tag ganz tayloristisch Kugelschreiber zusammenschraube

Danke erstmal, dass ich mich etwas "auskotzen" durfte....das hat gut getan

hoefti

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4-ever

ich kann dir aus eigener erfahrung bestätigen, dass eine stumpfe aufgabe (0815 job) durchaus glücklich und zufrieden macht.

das problem dabei ist nur, man muss sich zuerst bis zum abwinken durch anspruchsvolle jobs durcharbeiten, bevor man einen 0815 job zu schätzen weiß und glücklich damit ist.

so weit bist du noch nicht, du musst zuerst beruflich noch austesten was dir am besten liegt.
egal was du beruflich auch anfangen wirst, du musst mit keinem beruf alt werden, wenn dir nicht gefällt was du machst.

binford6100

Du könntest doch auch schauen, was du mit deinem Bachelor trotzdem noch anfangen kannst. Du sagst, dass es dir Spass gemacht hat, den Chinesen beim Lernen zuzusehen. Wäre dann eventuell Berufsschullehrer etwas für dich? Das kann man meines Wissens nach mit einem kleinen Zusatz zum normalen Bachelor werden.

Oder du versuchst noch einen Übersetzer (keine Ahnung was man dafür machen muss) noch draufzusatteln und fängst dann bei einem Übersetzungsbüro an.

Denn eines muss dir klar sein: Die sog. brotlose Kunst heißt nicht umsonst so. Kenne auch welche die sich dafür entschieden haben, aber jetzt arbeitslos sind bzw. hart am Existenzminium herumkriechen. Im nachhinein betrachtet wären sie froh, sie hätten sich anders entschieden.

Politik könntest du auch nebenbei machen und dich z.B. in deiner Heimatgemeinde bzw. Heimatstadt für die Gemeinderats bzw. Stadtratswahlen aufstellen lassen.

Fischli >°}}}>><

Machs wie es viele Leute machen- hab einen Brotjob (in deinem Fall als Ingenieur) und mach etwas, was dir Freude macht nebenbei dazu. Gerade mit Fremdsprachen und Politik kann man sich ein tolles 2. Standbein bauen, wie du es bei deiner Auslandserfahrung in China ja schon gemacht hast.

Giorgie Indigo

Hast du im Studium programmieren gelernt?

Kaesekuchen

MINT-Lehrer werden gesucht.
Allerdings kann das Lehrergehalt grundsätzlich nicht mit dem eines Ingenieurs mithalten.

Talamaur

Ich versteh irgendwie gerade das Problem nicht. Du hast dir doch selbst schon die Antwort gegeben. Dir stehen genau drei Möglichkeit offen:

- Du ziehst das jetzt alles durch, verdient hinterher gutes Geld, kannst deine Eltern nach Kräften unterstützen, hast ein gutes Gewissen aber einen Job (und da verbringst du vermutlich mehr als ein Drittel deines Tages), der dich anödet.
- Du hast jetzt die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung. Was hindert dich also daran ein Zweitstudium in "brotloser Kunst" anzufangen? Genau, nichts.
- Du gehst nach China und arbeitest als Deutschlehrer. Das hast du schon gemacht, da hast du sogar Referenzen. Dir hat das Spaß gemacht, sagst du ja selbst. Was hindert dich daran? Nichts.

Dir stehen jetzt, mit diesem Abschluss alle Türen offen. Du kannst jetzt machen was du willst. Und selbst wenn das dann doch nach hinten losgehst - dann bist du immer noch Ingenieur und kannst in diesem Beruf arbeiten, wenn wirklich sonst nichts klappt. Aber nur, weil du jetzt diesen Abschluss hast, heißt das doch nicht, dass du in diesem Beruf alt werden musst. Das ist doch jetzt keine Verpflichtung nach dem Motto "Ich bin jetzt Ingenieur, jetzt darf ich mein Leben lang nichts anderes mehr machen."

thomson

Zuerst einmal vielen Dank fürs Antworten

Die Idee mit der Berufsschule ist gar nicht mal so schlecht
Damit werde ich mich mal auseinandersetzen.

Nun Talamaur, es ist nun mal so, dass es annähernd unmöglich ist, den Fachbereich zu wechseln. Selbst im selben Fachbereich wird man nur für die wenigsten Masterstudiengänge zugelassen, da jede Uni/FH ihr eigenes Süppchen kocht. Und in den Geistes-/Sozialwissenschaften wird man erst Recht nicht zugelassen, wenn man vorher nicht 5+ Jahre dasselbe studiert hat, und etwas Neues kann man nur mit der allg. Hochschulzugangsberechtigung beginnen (ich habe ein Fachabi in der Logistik).

Das, was man in China verdient, würde gerade einmal dafür reichen, einmal im Jahr nach Hause zu fliegen ----> ortsüblicher, sehr schlecht bezahlter Tarif

Ich habe jetzt eine Nacht darüber geschlafen und die meisten haben recht, vielleicht ist es wirklich besser, vorerst einem Brotjob nachzugehen und nach ein zwei Jahren umzusatteln.

Manati

Wie wäre es mit einem Master im Fachübersetzen, den kannst du auch als Nicht-Geisteswissenschaftler machen, wenn du mindestens einen Bachelor hast und Fremdsprachenkenntnisse vorweisen kannst.

Du bist noch viel zu jung um dich mit einer nicht ganz glücklichen Berufswahl abfinden zu müssen!

Talamaur

Zusammen mit dem Bachelor hast du die natürlich erworben, sonst könntest du keinen Master an einer FH machen. Du müsstest natürlich noch mal von vorn anfangen, mit einem zweiten Bachelor. Aber was wäre denn daran so tragisch? Nichts und niemand hindert dich daran - außer dir selbst. Wenn du natürlich denkst "Das wären ja dann jetzt dreieinhalb verschwendete Jahre", ja, dann hast du recht, dann ists unmöglich, was neues zu machen. Aber das ist dann eine Schranke, die du dir selbst unnötiger Weise selbst auferlegst.

Du könntest das auch nebenbei machen, nebenberuflich an einer FernUni. Dann wäre das noch nicht mal verschwendete Jahre.

Und das:

Ist natürlich Quatsch. Zu einem geisteswissenschaftlichen Master wirst du dann zugelassen, wenn du einen fachähnlichen Bachelor hast. Der dauert aber niemals 5+ Jahre, sondern 3 bis 3,5, auch in den Geisteswissenschaften.

Es liegt nur an dir, wenn du was geistes-/sozialwissenschaftliches machen willst, dann mach das.

Mir ist durchaus klar, dass damit eine Verlegung deines Lebensmittelpunktes nach China einherginge. Aber wenn das das wäre, was mir Spaß macht und was ich machen will, dann würde mich das nicht davon abhalten, das auch zu tun.

Die Frage ist ja: Was willst du? Willst du ne Menge Kohle und ein sorgenfreies Leben? Dann studier deine bisherige Richtung weiter, dann wird dir aber mit großer Wahrscheinlichkeit dein Job nicht gefallen und zu einer Last werden. Wenn du einen Job willst, der dir gefällt, an dem Freude hast und das Gefühl, dich weiter zu entwickeln, dann musst eben unter Umständen in den sauren Apfel beißen und dich mit weniger Geld und ohne große Reichtümer zufrieden geben. So ist das Leben. Man kann (meistens) nicht alles haben.